Teil A: Einleitung
1. ZUR ÄLTEREN NASSAUISCHEN GESCHICHTSSCHREIBUNG
Das Geschlecht der Grafen von Nassau hat in der mittelalterlichen Geschichte des Sacrum Im¬
perium Romanum keine beherrschende Rolle gespielt. Lediglich einmal, im Jahr 1292, wählte
das Kollegium der Kurfürsten einen Grafen von Nassau, Adolf, zum deutschen König aus Sorge
vor der Machtausweitung des Hauses Habsburg. 1298 aber setzte es ihn wieder ab und erhob
an seiner Stelle Albrecht von Habsburg, gegen den König Adolf seinen Rang in der Schlacht
auf der Göllheimer Heide verteidigte und fiel. Als ausgangs des Mittelalters Humanismus und
Renaissance, aufstrebendes städtisches Patriziat, Legitimierung der Fürsten, Städtebünde und
Handelsorganisationen die Säkularisierung von Recht und Macht im Gefolge hatten, begann
das Haus Nassau die Geschichte seines Ursprungs, seiner Bedeutung und seiner Heldentaten
festzuhalten. Es wurden Urkunden und Akten, Nekrologe und Anniversarien gesucht und ge¬
sammelt, mit denen Recht gesetzt worden war und mit denen Rechte und Ansprüche begründet,
bewiesen und durchgesetzt werden konnten.
Für die nassauische Geschichte und Geschichtsschreibung wurde es bedeutsam, daß sich das
Geschlecht der Grafen von Nassau im 13. Jahrhundert in zwei Linien spaltete, die sogenannte
walramische und die ottonische Linie. Sie haben eine klar voneinander zu trennende Entwick¬
lung genommen und die Trennung bis in die Gegenwart bewahrt. Im Jahr 1255 teilten die
beiden Söhne Heinrichs des Reichen, Walram und Otto, ihr väterliches Erbe unter sich auf,
und zwar derart, daß Walram die Gebiete links, d. h. südlich der Lahn erhielt und Otto die
Gebiete rechts, d. h. nördlich des Flusses. Die ottonische Linie verbreitete und versippte sich
überwiegend nach Nordwesten in den niederrheinisch-niederländischen Raum, wo sie seit der
Ehe Heinrichs III. von Nassau-Dillenburg (1483—1538) mit Claudia, der Erbin von Chalon-
Oranien, als Haus Nassau-Oranien regiert. Bekanntlich lebt die Linie heute im niederländi¬
schen Königshaus fort.
Bei der walramischen Linie läßt sich die Tendenz nachweisen, Verbindungen in südwestlicher
Richtung zu pflegen. Die geschichtliche Entwicklung und Genealogie des walramischen Stam¬
mes wurde entscheidend beeinflußt durch die Vermählung des Grafen Johann I. mit der Erb¬
tochter Johanna von Saarbrücken, 1353, und die Heirat Graf Johann Ludwigs von Nassau-Saar¬
brücken, 1507, mit Katharina von Mörs-Saarwerden. Hierdurch wurden die lehnsrechtlichen
und familiären Beziehungen zum Herzogtum Lothringen und zum Bistum Metz geknüpft, ja
sogar zu den französischen Königen. Zu diesem Stamm gehört das heute in Luxemburg regie¬
rende großherzogliche Haus.
Über die ältesten Genealogien und Chroniken des Hauses Nassau und einige andere Sammlun¬
gen, in denen wenigstens teilweise nassauische Quellen zu finden sind, berichtet Johann Mar¬
tin Kremer in seiner „Originum Nassoicarum Historica“ 1). Danach war es der schon genann-
1) Johann Martin Kremer, Originum Nassoicarum pars prima historica et pars altera diplomatica. Ent¬
wurf einer genealogischen Geschichte des ottonischen Astes des salischen Geschlechts und des aus dem¬
selben entsprungenen nassauischen Hauses bis auf die in dem letzten vorgangene Teilung vom Jahre
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