Weistümern niedergelegten Hofrecht zu modifizieren. Trotzdem blieb dieser
Bereich zwischen Landesherr und Untertanen brisant.
4.7. Schließlich wurde am Beispiel von Austauschverhandlungen zwischen
Lothringen und Nassau-Saarbrücken in der zweiten Hälfte des 16. Jahr¬
hunderts untersucht, welche Rolle Weistümer dabei spielten. Es stellte sich
heraus, daß bei der Hälfte der Streitfragen Weistümer als Beweismittel
vorgelegt wurden, teilweise wegen des Fehlens besserer Quellen sogar aus¬
schließlich. Es ergab sich, daß sich immer derjenige zum Verzicht entschloß,
der Weistümer vorgelegt hatte. Wenn das beide Parteien getan hatten, kam
es zum Kompromiß. Die juristisch geschulten Unterhändler akzeptierten
Weistümer nur ungern als Beweisstücke wegen ihrer vagen, unklaren oder
altertümlichen Formulierungen, mußten aber auf Grund der verwickelten
und undurchsichtigen Rechtslage in Grenzgebieten oder Enklaven teilweise
darauf zurückgreifen. Die Bezirksweisungen der Schöffen wurden allerdings
als besonders glaubwürdig betrachtet und uneingeschränkt als Beweis
herangezogen.
Die Untersuchung der saarländischen Weistümer unter verschiedenen Frage¬
stellungen ergab, daß sie sich zum großen Teil aus Bestimmungen des Hof¬
rechtes zusammensetzten, die das Verhältnis zwischen Untertanen und Grund¬
herrschaft regelten. Allerdings konnte bewiesen werden, daß die Weistümer
nicht niedergeschrieben wurden, um zwischen Untertanen und Grund- bzw.
Niedergerichtsherrn die Rechtslage zu klären, sondern weil sie als Beweisstücke
zwischen Herren verwendet werden sollten, um die Kompetenzen gegeneinander
abzugrenzen bzw. um die Ansprüche von Außenstehenden abzuwehren. Allein
Streitigkeiten zwischen Herren waren der Anlaß zur Niederschrift der Weistümer
und allein die Herren verwendeten das Weistumsrecht in späterer Zeit als Beweise
gegen andere Herren, nie gegen Untertanen683.
Damit ergibt sich, daß die saarländischen Weistümer — wenn man vom bisher
gültigen Weistumsbegriff ausgeht — eigentlich „Kundschaften“ sind, Rechts¬
sprüche der Schöffen, die die Herren aus aktuellen Gründen erfragt hatten, die
meist nichts mit den inneren Verhältnissen des Bezirkes zu tun hatten. Trotz¬
dem muß man die saarländischen Quellen natürlich weiterhin als „Weistümer“
bezeichnen, denn das ist der in den Quellen verwendete Ausdruck. Dieses Ergeb¬
nis entspricht nicht den Beobachtungen in anderen Landschaften mit Ausnahme
vielleicht der Kurpfalz, wo sich eine ähnliche Nutzung der bäuerlichen Rechts¬
weisungen feststellen läßt. Es besteht zwar inzwischen Konsens darüber, daß die
Initiative im allgemeinen vom Grund- oder Gerichtsherrn ausgegangen ist, doch
683 Eine Ausnahme ist die Feststellung, daß der Graf von Nassau-Saarbrücken ver¬
suchte, das alte Waldnutzungsrecht der Untertanen zu beschränken und mit Hilfe
von Waldordnungen zu vereinheitlichen; widerspricht dem Gesagten aber nicht,
denn die Untertanen beriefen sich niemals auf die Weistumsaufzeichnungen, lehnten
sie in einem Fall sogar als unrichtig ab — sondern immer nur auf ihr „altes Her¬
kommen“. Dieses war offensichtlich nicht mit dem identisch, was die Herren als
Weistum von den Schöffen erfragt hatten und günstiger für die Untertanen als das
Weistumsrecht. Auch das ist ein Indiz für die herrschaftliche Prägung der Weis¬
tümer.
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