In Deutschland waren in den Dreißiger }ahren zwei Arbeiten entstanden, die
viel weniger Beachtung fanden, obwohl sie mindestens ebensoviel Diskussions¬
stoff geboten hätten wie die Grundherrschaftsthese. Karl Kollnig und Fritz
Zimmermann erarbeiteten Weistumsstudien für einen begrenzten Raum — Teile
der Kurpfalz — und wiesen nach, daß hier die Rechtsquellen auf Initiative des
Landesherrn hin entstanden waren mit der ausdrücklichen Zielrichtung gegen
mediate Gewalten und benachbarte Landesherren5 6. Diese Sicht der ländlichen
Rechtsquellen fand wohl deshalb so wenig Resonanz, weil sie erst kurz vor
Kriegsausbruch veröffentlicht wurde und nun für mehrere Jahrzehnte eine Pause
in der Weistumsforschung eintrat, in der außer der erwähnten Richtigstellung
von Hermann Bald keine bedeutenden Arbeiten erschienen.
Erst in den letzten Jahren kam es zu einer Renaissance der Weistumsforschung:
Den Anfang machte Walter Müller mit seiner Untersuchung der Öffnungen
der Fürstabtei St. Gallen0. Er gab damit ein Musterbeispiel für eine lokale
Fallstudie, die allein — wie man sich in der Weistumsforschung allgemein einig
ist — dem heterogenen Charakter dieser Quellen gerecht werden kann. Der
Verfasser verzichtet bewußt darauf, seine aus einer geschlossenen Quellengruppe
gewonnenen Ergebnisse zu verallgemeinern und mißt sie nur am Ende seiner
Untersuchung an den Resultaten der allgemeinen Weistumsforschung7. Die
Öffnungen, die seit dem Ende des 15. Jahrhunderts entstanden, sind im wesent¬
lichen landesherrlich oktroyierte Ordnungen zur Vereinheitlichung der Nieder¬
gerichtsbarkeit im Klostergebiet. Zeitlich stehen sie zwischen Hofrechten des
14. und 15. Jahrhunderts und landesherrlichen Mandaten des 17. und 18. Jahr¬
hunderts. Die Niederschrift der Quellen lag im Interesse der Herrschaft und diese
nahm Einfluß auf den Inhalt. Das führte zu großer Homogenität, obwohl lokale
Sonderbestimmungen nicht ganz fehlen. Müller stellte den Inhalt der Öffnungen
dar, wobei er sie sowohl mit dem älteren und jüngeren St. Galler Recht, als auch
mit Weistümern aus benachbarten Gebieten verglich. Seine ausgezeichnete Unter¬
suchung versteht er selbst — wie der Untertitel sagt — als „Beitrag zur Weistums¬
forschung", d. h. als einen der ersten Bausteine zu einer Gesamtbeurteilung dieser
Rechtsquellen im deutschsprachigen Raum, die auf Grund der gegenwärtigen
Forschungslage noch nicht möglich ist.
Anders hat Karl Heinz Burmeister seine Arbeit über die Vorarlberger Lands¬
bräuche8 angelegt. Mehr als der Inhalt seiner Quellen interessierte ihn der Zeit¬
punkt und die Motive der Niederschrift, das Alter einzelner Rechtssätze, wer
an der Redaktion beteiligt war und wie die Landsbräuche praktisch gehandhabt
wurden. Seine Quellen sind „fortgebildete und von den Juristen redigierte Weis-
5 Karl Kollnig, Die Zent Schriesheim. Ein Beitrag zur Geschichte der Zentverfassung
in Kurpfalz (Heidelberger Abhandlungen zur mittleren und neuren Geschichte) (Hei¬
delberg 1933); Fritz Zimmermann, Die Weistümer und der Ausbau der Landeshoheit
in Kurpfalz (Berlin 1937).
6 Walter Müller, Die Öffnungen der Fürstabtei St. Gallen — Ein Beitrag zur Weistums¬
forschung (Mitteilungen zur vaterländischen Geschichte, hg. vom Historischen Ver¬
ein des Kantons St. Gallen XLIII) St. Gallen 1964.
7 Müller (wie Anm. 6) 169—188.
8 Burmeister (wie Anm. 2)
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