VIII. Folgen und Auswirkungen:
Die Agrarkrise
Alfred Grund wies als erster 1901 auf krisenhafte Vorgänge des ausgehen¬
den Mittelalters hin. Später hat W. Abel in eingehenden Untersuchungen
Bevölkerungsrückgang, Wandel in der Sozialstruktur, Landflucht, Agrar¬
krise und Wüstungsvorgang zusammenhängend betrachtet. Der absolute
Bevölkerungsrückgang wird als Ursache für die Ausbildung einer „Preis¬
schere" zuungunsten der Landwirtschaft angesehen. Wenn infolge der
großen Epidemien des 14. und 15. Jahrhunderts und auch anderer Gründe
wegen die Bevölkerungszahl abnahm und dies noch durch geringe Lebens¬
erwartung und Geburtenrückgang verstärkt wurde, so sank damit auch die
Abnehmer- und Verbraucherzahl für die im Mittelalter angewachsene
Getreideproduktion. (Oft wird sogar dieser Tatbestand mit dem wenig
schönen Begriff „Vergetreidung" angesprochen). Die Entwicklung hatte zur
Folge, daß ein Getreideüberschuß den Markt belastete. Die Agrarpreise
fielen weiter. Gleichzeitig stiegen jedoch die Löhne der Arbeiter und Hand¬
werker und die Preise der gewerblichen Produkte, wodurch sich die Kosten
für den Bauern abermals erhöhten. Arbeitskräftemangel, geringe Erträge
und eine bessere rechtliche Stellung reizten zur Abwanderung in die Städte.
Ricardo und Malthus haben gelehrt: Wenn die Bevölkerung wächst, steigen
die Preise der Lebensmittel, da zu ihrer Produktion mehr Arbeit nötig ist.
Der Ertrag der alten Nutzungsflächen nimmt aber nicht im gleichen Aus¬
maß der Aufwandssteigerung zu. Da nun Land bebaut wird, das normaler¬
weise nicht bearbeitungswürdig ist, kann dieses nur Erträge unter höherem
Aufwand liefern und somit steigen wieder die Agrarpreise. Die Löhne der
Arbeiter bleiben gleich oder fallen relativ. W. Abel kehrt nun diese
Erkenntnis um: „Wenn die Bevölkerung sinkt, so sinken auch die Preise
der Lebensmittel, weil zu ihrer Hervorbringung weniger Arbeit erforderlich
ist. Es scheiden die weniger fruchtbaren und weniger günstig gelegenen
Böden aus der Produktion aus. Die Grundrente sinkt, aber der Geldlohn
steigt, und zwar so hoch, daß er den Arbeiter instandsetzt, sich mehr
Gegenstände seiner Bedürfnisse und seines Wohlbehagens zu kaufen als
ehedem228."
228 W. A b e 1, Wüstungen in historischer Sicht, S. 15.
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