Anhang zu den eigentlichen Wüstungen bilden. J. Lappe bezeichnete 1916
„Wüstung als eine gänzlich eingegangene, vormals als Wohnsitz dienende
Einzel- und Gesamtsiedlung". Sodann erläutert er folgendes: „Unter diesen
Begriff fallen also nicht bloß Städte und Dörfer, sondern auch die kleinen
Weiler, Gehöfte, Mühlen, Burgen, Schlösser, Kirchen, Kapellen, Klöster
u. a. m. In der Literatur sind jedoch die vorgeschichtlichen sowie die kelti¬
schen und römischen Niederlassungen unberücksichtigt geblieben, auch die
Einzelsiedlungen scheiden vielfach aus, weil sie an Bedeutung zurückstehen,
und da der untergegangenen Städte nur sehr wenige sind, bezeichnet die
Wüstung im engeren Sinne eine verödete Landgemeinde5."
M. Walter, der 1927 mit vier charakteristischen Kennzeichen eine Siedlung
zu definieren versucht: Bewohner, Wohnstätten, ein Wirtschaftsraum und
eine gewisse Selbständigkeit in geographischer Hinsicht, die auch in einem
eigenen Namen zum Ausdruck kommt, nimmt eine Mittelstellung ein:
„Abgegangene Siedlungen, Wüstungen oder Ödungen sind also dauernd
verlassene Städte, Dörfer, Höfe, Mühlen, Burgen und Klöster. Abgegangene
Höfe, Mühlen, Burgen und Klöster werden aber nur dann zu den Wüstungen
gerechnet, wenn sie vor ihrem Abgänge als Einzelsiedlung ein widitiges
Element in der Landschaft darstellten6." An einer anderen Stelle begrenzt
Walter den Begriff zeitlich: „Nicht zu den abgegangenen Siedlungen im
Sinne der Wüstungsforschung rechnen alle Spuren der vorgeschichtlichen
Besiedlung. Alles was vor dem siebten oder achten Jahrhundert nach
Christus liegt, gehört der Vorgeschichte an und ist Gegenstand eines beson¬
deren Arbeits- und Forschungsgebietes, so sehr sich Wüstungsforschung
und vorgeschichtliche Forschung auch berühren7." D. Weber kritisierte die
Einteilungen in Wüstungen im engeren und weiteren Sinne vom siedlungs¬
geographischen Standpunkt aus für Räume wie z. B. Württemberg, in denen
Einzelsiedlungen verbreitet sind8. Er beachtete auch Ziegeleien und Glas¬
hütten9. D. Weber unternahm eine Zweiteilung des Wüstungsbegriffes in
sog. „Auf laß Wüstungen" — bei dieser Art haben die Bewohner selbst bei
der Verödung aktiv mitgewirkt — und in „Zerstörungswüstungen" (z. B.
Um- oder Übersiedlung, Krieg etc.), bei denen sich die Bevölkerung passiv
verhält. Diese Unterscheidung hat jedoch keinen Eingang in die Literatur
gefunden. A. Becker bezeichnete (1934) allgemein als Wüstung „die Stelle
einer Siedlung, die in ihrer Eigenart, ob sie nun eine Einzelsiedlung oder
eine Sammelsiedlung war, verschwunden ist10."
5 J. Lappe, Die Wüstungen der Provinz Westfalen. Einleitung. Die Rechts¬
geschichte der wüsten Marken, Münster 1916, S. XXII.
6 M. Walter, Die abgegangenen Siedlungen, Karlsruhe 1927, S. 3.
7 M. Walter, Die abgegangenen Siedlungen, S. 4.
8 D. Weber, Die Wüstungen in Württemberg, Stuttgart 1927. D. Häberle,
Die Wüstungen der Rheinpfalz, Kaiserslautern 1922 (= Beiträge zur Landes¬
kunde der Rheinpfalz, 3. Heft), berücksichtigt in seinem Verzeichnis auch Burgen
und Einzelsiedlungen.
9 D. Weber, Wüstungen Württemberg, S. 14.
10 A. Becker, Die geographische Wertung der Wüstungen, in: Mitt. d. geogr.
Ges. in Wien, 77. Bd., Wien 1934, S. 151.
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