A. Einleitung
Die Wüstungsforsdiung beschäftigt sich mit verschwundenen Städten, Dör¬
fern und Höfen, aber zugleich auch mit den dazugehörigen Wirtschafts¬
flächen (Fluren). Lange Zeit beschränkte man sich auf die Behandlung von
totalen Ortswüstungen. Die Forschung der letzten Jahre hat nun auch par¬
tielle und temporäre Vorgänge und Erscheinungen in die Betrachtung ein¬
bezogen. Die Volksüberlieferung sah die Ursache des Siedlungsunterganges
im Dreißigjährigen Krieg oder Bauernkrieg, überhaupt im Kriegs- und
Fehdewesen. Doch auf Grund archäologischer und schriftlicher Quellen läßt
sich eindeutig nachweisen, daß es sich um länger währende negative Sied¬
lungsperioden handelte, und daß der Siedlungsrückgang vor 1500 (bzw.
1450) seinen Höhepunkt längst überschritten hatte.
Diese Arbeit behandelt die Ortswüstungen des Saarlandes (Gruppen- und
selbständige Einzelsiedlungen) von der Zeit der Landnahme bis etwa zum
Beginn des 19. Jahrhunderts. Zuerst stellte die Anlage eines Siedlungs¬
namens- bzw. Wüstungsverzeichnisses eine wichtige Aufgabe dar. Dabei
mußte im Einzelfall untersucht werden, ob die Wüstung als sicher, unsicher
oder unwahrscheinlich zu gelten hat. So war es auch erforderlich, einige
Namen aus dem saarländischen Wüstungskatalog zu streichen, da es sich
hierbei um „Scheinwüstungen" oder falsche Interpretationen in früheren
Verzeichnissen handelte. Die kritische Durchsicht schriftlicher Quellen und
die Berücksichtigung der vielfältigen Traditionen und Relikte bildeten eine
sichere Grundlage. Da bisher eine Wüstungskarte fehlte, galt es zunächst,
die einzelnen verlassenen Wohnstätten zu lokalisieren und zu kartieren.
Die Belege wurden Urkunden, historischen Karten, Bannbeschreibungen,
Weistümern, Bannbüchern, Gemeindeatlanten, dem Urkataster, archäolo¬
gischen Fundberichten, Sagen- und Volksüberlieferungen entnommen. Die¬
ses Material gestattete vielfach auch eine Antwort auf die Frage, ob ein
eigener Bann bekannt war und was in der Folgezeit damit geschah. Nach¬
dem die genaue Lage der ehemaligen Siedlungen ermittelt worden war,
konnte nun eine Analyse der Siedlungsverbreitung und -dichte im saar¬
ländischen Raum in historischer Zeit angestrebt werden. Diese quantitative
Kennzeichnung lenkte sodann den Blick auf ein Hauptanliegen der
Wüstungsforschung: die Aufhellung des Siedlungsganges. Die Zeiten der
Gründung, des Bestehens, des Wüstfallens und einer möglichen Neubesied¬
lung geben Aufschluß für die Bevölkerungsentwicklung allgemein. Dies ist
aber nur der Fall, wenn der Vorgang auch unter Berücksichtigung partieller
und temporärer Erscheinungen betrachtet wird.
Nach Klärung der zeitlichen Stellung und Schichtung stellte sich die proble¬
matische Frage nach den Gründen und Ursachen des Wüstfallens, die un¬
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