ausnahmslos aufliegendes Wollen läßt sich also wissenschaftlich
nicht halten, weil seine notwendige Voraussetzung, der wirk¬
liche Gebieter aller menschlichen Bewußtseinswesen oder die
wirkliche, allen menschlichen Bewußtseinswesen unterstehende
Lebenseinheit nicht festzustellen ist. Was immer mit wissen¬
schaftlicher Berechtigung als Pflicht anzusprechen ist, betrifft
stets besondere Einheiten innerhalb der Gesamtheit menschlicher
Bewußtseinswesen, und eben darum muß die Wissenschaft,
wenn anders das Wort „sittlich“ nicht, wie das Wort „der
Sitte gemäß“, auf besondere Einheiten menschlicher Bewußt¬
seinswesen sich beschränkt, sondern alle menschlichen Bewußt¬
seinswesen betrifft, es ablehnen, von „sittlicher Pflicht“
oder „pflichtiger Sittlichkeit“ zu reden: kein Pflichtwollen ist
„sittlich“ zu nennen, sittliches Wollen kann nicht Pflichtwollen
heißen. Wir werden dämm immer vergebens bei der sogenannten
Pflichtethik Umschau halten nach einer wissenschaftlich zu¬
reichenden Antwort auf die Frage „was ist sittlich?“ und wir
müssen es ab weisen, wenn uns die Pflichtethik sagt, das sitt¬
liche Wollen sei ein Pflichtwollen.
Neben der von der Pflichtethik trotz des fehlenden Wirklich¬
keit-Hintergrundes dennoch gegebenen Antwort „das Sittliche
ist das alle menschlichen Bewußtseins wesen treffende Pflich¬
tige“ (s. Kants „Prüfung einer allgemeinen Gesetzgebung“)
steht in der Geschichte ein anderer Versuch einer Ethik als
Wissenschaft vor uns, der in Ansatz und Beantwortung der
Frage „was ist sittlich?“ erheblich von der Pflichtethik abweicht.
Wir finden ihn vor Allem zur vorchristlichen Zeit schon im
alten Griechenland, und er ist bekannt unter dem Namen
„Eudämonismus“. Er kennt keine sittliche Pflicht, schon des¬
halb nicht, weil seine Ethik gar nicht Einheit von Bewußtseins¬
wesen, ohne die ja von Pflicht nicht die Rede ist, ja nicht einmal
eine Mehrheit von Bewußtseinswesen voraussetzt, sondern nur
das einzelne menschliche Bewußtsein zum Ansatz hat,
und zwar dieses Bewußtsein eben als Glückseligkeitwollen¬
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