vor allem über die beiden Lebenseinheiten „Gesellschaft“ und
„Gemeinschaft“ von uns dargelegt wurde, daß „Sitte“ es mit
wollenden Bewußtseins wesen, die in einer Einheit als gleich¬
gestellte Wesen sich finden, also durch ihr einiges Wollen
vereinte Einzelwesen sind, zu tun hat und sich als das Ge¬
setz des Wollens eines jeden Lebenseinheitlers darstellt, darum
immer auf Pflicht wollen, wie es ja bei jeglicher Ein¬
heit von Bewußtseinswesen der Fall ist, hinausläuft.
Wenn die Ethik als Wissenschaft vom „Sittlichen“ das „der
Sitte Gemäße“ zu ihrem besonderen Gegenstände hätte, so
könnten wir sie überschüssig auch „Pflichtethik“ nennen
und von ihrem Gesetze recht eigentlich als „Sittengesetz“
sprechen.
Mit dieser Deutung des Wortes „sittlich“ = „der Sitte ge¬
mäß“ wäre die Ethik aber nicht nur auf die Handlungen
menschlichen Bewußtseins beschränkt, denn einzig die „äußere“
Lebensführung kommt für die Sitte überhaupt in Betracht
(s. S. 5ff.)» sondern dazu noch weiter auf die dem Gesetz
einer Leben sein heit entsprechenden Handlungen allein. So
würde die „Sittlichkeit“ des willenshandelnden Bewußtseins
von dessen Lebenseinheitlersein abhängen und das Sittlichsein
nur dem Lebenseinheitler zukommen.
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Schauen wir uns nun um in Geschichte und Gegenwart,
so läßt sich kein Versuch einer Ethik als Wissenschaft vom
Sittlichen im Sinne des „der Sitte Gemäßen“, also keine auf
eine Lebenseinheit gegründete, in der „Sitte“ verankerte
Pflichtethik finden. Das Sittliche (Ethische, Moralische) hat
stets anderswo, als in der Lebenseinheit, dieser alleinigen
Heimstätte der Sitte, seine Unterkunft gefunden; nur Platon
könnte eine Ausnahme zu machen scheinen, da er bei der Be¬
trachtung des Sittlichen („Guten“) gerne auf den Staat, diese
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