Full text: Grundlegung der Ethik als Wissenschaft

wissen ja, daß der sogenannte hypothetische Imperativ gar kein 
Sollen, sondern ein Müssen darstellt, also nicht Unbedingtes, 
sondern Bedingtes vorbringt: „Da mußt dies tun oder nicht 
tun, wenn du als Lebenseinheitler bestehen und ungestraft 
bleiben willst.“ Keinesfalls aber steckt im Gesetz je ein Ge¬ 
bot und die Lebenseinheit hat trotz der zwiefachen Wollens- 
möglichkeit seiner Mitglieder oder Glieder ebensowenig wie 
die „Natur“ mit einem Sollen zu tun, sondern, wie diese 
immer nur mit einem Müssen. Wir können demnach den 
Unterschied von Lebenseinheit und Herrschaftseinheit, die beide 
nur das wollende Bewußtseinswesen betreffen, kurz dahin 
kennzeichnen, daß jene auf ein Wollenmüssen, diese auf 
ein Wollensollen abstellt. 
So sehr aber auch „Gesetz“ der Lebenseinheit von „Gebot“ 
der Herrschaftseinheit abrückt, so dürfen wir doch nicht ver¬ 
gessen, wie beide wieder zusammen gegen „Naturgesetz“ stehen, 
indem sie beide auf ein Wollen ihrer Einzelwesen abzielen, 
also nur mit Bewußtseinswesen, und zwar mit diesen auch nur, 
sofern sie in einer Einheit sich finden, zu tun haben, und jede 
dieser Einheiten von Bewußtseinswesen immer und allein auf 
ein Wollen gestellt ist. 
Von der Einheit, die wir Lebenseinheit heißen, wissen wir 
nun, daß sie auf den einigen Willen aller ihr zugehörigen Be¬ 
wußtseinswesen gestellt ist, so daß Lebenseinheitlersein auch 
Lebenseinheitwollen, und umgekehrt auch Lebenseinheitwollen 
wieder Lebenseinheitlersein bedeutet. Beides ist eben untrenn¬ 
bar zusammen, so daß wir auch sagen, wer Lebenseinheitler 
ist, muß die Lebenseinheit wollen, und wer Lebenseinheit nicht 
will, kann Lebenseinheitler nicht sein. Dieses „Nichtwollen“ 
wäre freilich dem menschlichen Bewußtsein nicht möglich, 
wenn es nicht Einzelwesen, d. i. Veränderliches wäre oder an¬ 
ders ausgedrückt, wenn ihm als Bewußtsein nicht jene zwie¬ 
fache Wollensmöglichkeit zustände, entweder die Lebenseinheit 
zu wollen oder auch nicht zu wollen. 
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