Gesetz im Unterschied von Staatsgesetz redet, so pflegt man wohl
nur den Teil der Natur ins Auge zu fassen, der die Dinge (Kör¬
perwelt) ausmacht. Diese Beschränkung auf die Dingwirklich¬
keit als ,,Natur“ hat jedoch ihr Mißliches, indem sie leicht zu
der Meinung verleitet, als ob das menschliche Bewußtsein kein
Natur wesen wäre, also nicht unter einem Naturgesetze stände,
vor allem wenn es als wollendes Bewußtsein in Betracht kommt.
Wir suchen aber doch als Psychologen die Gesetze des mensch¬
lichen Bewußtseinslebens, und vor allem auch des Wollens
in ganz demselben Sinne, wie der Physiker die Gesetze des Kör¬
pers, klarzulegen. Halten wir uns indes einmal nur an die
Dinge, um den Unterschied von Naturgesetz und Lebensein¬
heitgesetz der Bewußtseinswesen herauszustellen. Dieser ist
nicht etwra in der Notwendigkeit des Naturgesetzes zu suchen,
denn ohne „Notwendigkeit“ wäre das Lebenseinheitgesetz ja
gar kein Gesetz, sondern darin, daß für die Einzelwesen des
Naturgesetzes nur die eine Möglichkeit ihrer Veränderung be¬
steht: „sie können nicht anders als“ dem Naturgesetz entspre¬
chen. Anders steht es mit dem Lebenseinheitgesetz, wie wir
schon zeigten; es bietet das menschliche Bewußtsein in An¬
sehung des Lebenseinheitgesetzes nicht nur die Möglichkeit,
diesem Gesetze entsprechend, sondern auch die andere, ihm
widersprechend zu wollen. So unterscheidet sich denn das Be¬
wußtsein von den Dingen dadurch, daß es nicht nur, wie
dieses, zur „Natur“ d. h. zu den in Wirkenseinheit sich finden¬
den Einzelwesen gehört, sondern als wollendes Bewußtsein auch
einer Lebenseinheit zugehören kann, deren Gesetzen aber das
menschliche Bewußtsein nicht nur die eine Möglichkeit, ihm
zu entsprechen, wie dem Naturgesetze, sondern auch die andere
Möglichkeit, ihm widersprechend zu wollen, entgegenbringt.
Diesen Umstand aber, durch den sich Naturgesetz und Lebens¬
einheitgesetz deutlich unterscheidet, ist es zuzuschreiben, daß
man von jeher geneigt gewesen ist, dem Worte „Gesetz“ selbst
zweierlei Sinn zuzumuten, indem das Gesetz als „Naturgesetz“
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