das Sicheinswissen mit anderem Bewußtsein hat. Und da wir
uns, was den Gebrauch des Wortes „Liebe“ angeht, auf eine
alte Übung, die in ihm das Sicheinswissen mit anderem
Geiste zum Ausdruck bringt, berufen können, so halten wir,
um der Eindeutigkeit willen, uns berechtigt, diesem Sicheins¬
wissen für sich allein das Wort „Liebe“, und zwar als Liebe2,
zu behalten. Ja, auch auf einen Vergleich könnten wir uns
nicht einlassen, der dahin ginge, in dem Wort „Liebe“ jenes
Sicheinswissen mitsamt seiner Folge, dem Mitfühlen, zum
Ausdruck zu bringen. Diesem Vergleiche stände nämlich sozu¬
sagen alles entgegen, wenn nämlich, wie wir, auch der Gegner
auf seinem Standpunkt verharrt, so daß er zu der Folge „Mit¬
fühlen—Sicheinswissen“, wir dagegen zu der Folge „Sicheins¬
wissen—Mitfühlen“ halten, und somit würde es doch nicht
zu der erstrebten Eindeutigkeit des Wortes „Liebe“ kom¬
men.
Mit der Klarlegung dessen, was wir Liebe nennen und als
Liebe1 und Liebe2 kennen, haben wir nun wenigstens den
Boden für eine Beantwortung der Frage „was ist sittlich?“ vor¬
bereitet, und zwar einen neuen Boden, den wir suchen mußten,
da wir die Pflichtethik sowie die Klugheitethik für unzuläng¬
liche Versuche zu einer Ethik als Wissenschaft haben erklären
müssen. Wenn wir die Suche nach einer zureichenden Antwort
auf jene Frage mit der Erörterung des Sicheinswissens und der
Liebe eingeleitet haben, so ist uns dazu Veranlassung gewesen
die neben der Klugheitethik und der Pflichtethik in der Ge¬
schichte vorliegende christliche Ethik, die wir als Liebesethik
bezeichnen, weil sich ihr das Sittliche auf die Liebe als Sich¬
einswissen gründet. Den vom Christentum als der „Beligion
der Liebe“ vorgezeichneten Weg zu einer Beligionsethik
können wir in der Suche nach einer zureichenden Beantwortung
unserer Frage freilich nicht einschlagen, da diese Ethik, wie alle
Religionsethik, auf wissenschaftlich unzulänglichem Boden ge¬
gründet ist, aber wir halten es nicht für einen Raub, dem
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