unterrichtet, wie bedeutsam die ablehnende Reaktion der französischen Öffentlich¬
keit gegenüber dem Thoiry-Programm geworden war und wie schwierig eine
Abänderung des Versailler Vertrags sein werde26. Zudem gelang es Poincare, den
Kurs des Franken zu stabilisieren, so daß die Grundvoraussetzung des Thoiry-
Programms entfiel. Briand erfuhr in der französischen Öffentlichkeit und im
Außenministerium immer weniger Unterstützung27. In der Ministerbesprechung
vom 2. 12. 1926 kündigte Stresemann neue Pläne für die Revision der Rheinland¬
besetzung an, erwähnte aber die Saarrückgliederung mit keinem Wort mehr28.
Darin, daß bei der Tagung des Völkerbundsrates im Dezember 1926 die Frage der
französischen Truppen im Saargebiet von deutscher Seite besonders forciert wurde,
zeigte sich, daß mit einer vorzeitigen Saarrückgliederung zu diesem Zeitpunkt nicht
mehr gerechnet wurde. Im Oktober noch bestand nämlich im Auswärtigen Amt
kein besonderes Interesse an der Truppenfrage, solange die Aussicht auf eine
vorzeitige Bereinigung der Saarfrage im Ganzen bestand29.
Hätten sich dennoch 1926/27 Saarverhandlungen angebahnt, wäre die deutsche
Position bereits eingeengt gewesen. Dies lag am Beschluß der preußischen Staats¬
regierung vom 25. 1. 1927, keine Beteiligung in- oder ausländischen Fremdkapitals
an den rückgegliederten Saargruben zuzulassen30. Das Auswärtige Amt und das
Reichswirtschaftsministerium erkannten entgegen früheren Äußerungen diesen
Beschluß an und banden sich damit für künftige Verhandlungen die Hände.
2. Die deutsch-französischen Saarverhandlungen 1929/30
a) Deutsche Rückgliederungspläne und der Haager Notenwechsel
Nachdem das Zukunftsprogramm von Thoiry sich als undurchführbar erwiesen
hatte, brachte erst das Jahr 1929 wieder einen ernsthaften Versuch, die vorzeitige
Saarrückgliederung zu betreiben. In Frankreich gelang es Briand, das Problem der
vorzeitigen Rückgliederung zu entschärfen: Da eine Abstimmung zu einer klaren
Niederlage Frankreichs führen mußte, fand Briand „die realistische Formel“, die
das Saargebiet als „Pfand“ darstellte, das man gegen wertvolle Gegenleistungen
aufgeben könne. Er konnte so den Widerstand französischer Rechtskreise gegen
eine Vertragsrevision abschwächen1.
Als 1929 die Frage der Rheinlandräumung und der Neuregelung der Reparationen
in Gang kam, hielt Stresemann den Augenblick für gekommen, die Saarrück¬
gliederung wieder ins Gespräch zu bringen. Im Geheimerlaß vom 23. 5. 1929 an
die Botschafter in Paris und London2 teilte er mit, er wolle die Saarfrage mit dem
Reparationsproblem verbinden. Ziel sei eine grundsätzliche Einigung, technische
28 ADAP Serie B, Bd. I, 2, Nr. 176 S. 414.
27 Vgl. ebda., Nrn. 182, 183, 188 und 216. Diese Gründe betont auch Turner, Henry
A., Stresemann — Republikaner aus Vernunft, Berlin u. Frankfurt 1968, S. 222.
28 ADAP, Serie B, Bd. I, 2, Nr. 225 S. 519.
29 Ebda., Nr. 134. Zur Saartruppenfrage ebda., Nrn. 204, 252 und 264.
30 BA R 431/243, Bl. 131, ferner: Sehr, des Preuß. Finanzministers v. 3.12.1926 an den
Preuß. Innenminister (BA R 2/2701), das den Kabinettsbeschluß herbeiführte.
1 Z e n n e r , Parteien, S. 232ff.
2 AA ... betr. Rückgliederung des Saargebiets, Bd. 1.
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