ministeriums anderer Ansicht und versuchten, die Maßnahmen gegen Rückgliede¬
rungsgegner mit deren illegaler Tätigkeit im Reich vor 1935 zu begründen. Daher
hielt man im Falle Franz an der Verhaftung fest, weil sonst weitere 60 bis 80
laufende Verfahren haltlos geworden wären33. Hätte sich das Abstimmungs¬
gericht auf die Argumente der deutschen Seite im Falle Franz eingelassen, wären
Verfolgungen der Rückgliederungsgegner wegen ihrer Tätigkeit vor dem 1.3.1935
Tür und Tor geöffnet worden. Die deutschen Behörden hätten dann nur noch
mehr oder weniger eindringlich illegale Tätigkeit im Reich vor 1935 nachweisen
müssen. Die Aufzeichnung einer Plenarsitzung des Abstimmungsgerichtes vom
28. 10. 1935 34 35 zeigt, daß der Stellungnahme des luxemburgischen Richters Wester
nach dem Abstimmungsgericht in den Fällen Weiter und Franz alle Hände gebun¬
den gewesen wären. Wester zog den neuen deutschen Hochverratsparagraphen
heran und bezeichnete die Tätigkeit von Weiter und Franz „als hochverräterisch
im höchsten Grade“. Er hielt so den Nachweis, daß die Betroffenen wegen ihrer
Einstellung zur Abstimmungsfrage verhaftet seien, für schwierig. Das Abstim¬
mungsgericht folgte jedoch der Ansicht Westers nicht.
Im November 1935 änderten das Auswärtige Amt und das Reichsjustizministerium
ihre Argumentation 33. Da man kaum noch damit rechnete, die kommunistische
Tätigkeit von Heß und Weiter nach der Rückgliederung nachweisen zu können,
wurde die Tätigkeit der Beschuldigten während der Abstimmungszeit als Hoch¬
verrat gegen das Reich vom Saargebiet aus dargestellt, was nicht mit der Abstim¬
mungsfrage im Zusammenhang stehe36. Daher sei das Abstimmungsgericht nicht
zuständig. Der Referent des Reichsjustizministeriums behauptete, Weiter habe den
illegalen Wiederaufbau der KPD im Reich gefördert, und fuhr fort: „Es hätte dem
Weltkommunismus dann freigestanden, vom 2. Juni 1934 an ungehindert und
ungestraft in Deutschland jedes Mittel zum Sturze der verfassungsmäßigen Regie¬
rung anzuwenden, sofern nur er sich saarländischer Agenten bediente. Davon, daß
Deutschland einen derartigen Freibrief zu seiner Unterhöhlung und Zersetzung
ausgestellt hätte, kann ernstlich nicht die Rede sein“ 37. Einen solchen Standpunkt
lehnte das Abstimmungsgericht ab, als er die Freilassung des verhafteten Franz
anordnete: Die Einfuhr anarcho-syndikalistischer Druckschriften ins Reich habe
zur Abstimmungszeit im Saargebiet nicht unter Strafe gestanden 38. Das Abstim¬
mungsgericht hob dabei hervor, daß die Garantieerklärungen gerade Strafverfol¬
gungen aus diesem Grunde vermeiden wollten. Ebenso wurde die Haftentlassung
von Heß und Weiter angeordnet39. In beiden Fällen hatten sich die Anschul¬
digungen der Stapostelie Saarbrücken in den Augen des Abstimmungsgerichtes
als haltlos erwiesen.
34 In Abschr. in: BA R 2/12237.
35 Vgl. Sehr, des AA v. 25.11.35 an den RJustM sowie nicht dat. Erlaß des RJustM v.
Nov. 35 an Staatsvertreter Welsch: AA... betr. Abstimmung adh. III Garantieabk.,
Bd. 2.
33 Vgl. den oben erwähnten Standpunkt des Richters Wester.
37 Erlaß des RJustM v. Nov. 1935 (Anm. 35).
38 Entscheidung des OAGH: BA R 22/2880, Bl. 183£f.
39 Entscheidungen des OAGH: ebda., Bl. 188 u. 194ff. Die Entscheidung in Sachen Wei¬
ter ist auszugsweise abgedr. bei Kunkel, SPD-Saar. S. 26. Nach Auskunft von Herrn
Ministerialrat a. D. Kunkel v. 30.10.69 emigrierte Weiter nach der Entlassung, Heß
blieb, relativ unbehelligt, im Saarland.
178