Es ist daher geboten, will man manche in den genealogischen Forschungen zur
lothringischen Geschichte noch offenen Fragen mit Hilfe solcher Gedenkeinträge
— und zwar solcher aus dem Liber memorialis von Remiremont — einer end¬
gültigen Lösung zuführen, an einem Beispiel schlagend und unabweisbar auf¬
zuzeigen, daß solche in ihrem Namenbestand sich öfter wiederholenden Gedenk¬
einträge in der Regel tatsächlich Gruppen von Verwandten angeben. Dabei wol¬
len wir nicht allein darauf hinweisen, daß einige Einträge des Liber memorialis
den ausdrücklichen Zusatz enthalten: pro omnes propinquos et consanguineos12;
wir wollen vielmehr, um alle Zweifel hinsichtlich der genealogischen Auswert-
barkeit zu beheben, einen solchen Eintrag bekanntmachen, in dem tatsächlich
einmal die Verwandtschaftsbezeichnungen angefügt worden sind.
Gleichsam als ein methodisches Beweisstück sei somit den folgenden genealogi¬
schen Forschungen ein Abschnitt, in dem eine bislang unbekannte lothringische
Adelsfamilie aus Gedenkbucheinträgen mit ausdrücklichen Verwandtschaftsbe¬
zeichnungen herauskristallisiert wird, vorangestellt: ein Zweig aus der Seiten¬
verwandtschaft des Königs Boso von der Provence wie auch der Grafen vom
Bassigny. In der Gegenüberstellung von Gedenkeinträgen mit Verwandtschafts¬
bezeichnungen und solchen ohne diese Verwandtschaftsangaben vermag sich
dabei der genealogische Grundcharakter der letzteren eindeutig zu erkennen zu
geben.
Die eigentlichen Forschungen dieser Arbeit, bei denen dann solche Gedenkbuch¬
einträge den seit Jahrhunderten gesuchten Schlüssel für die Lösung von Proble¬
men bieten sollen, konzentrieren sich jedoch nicht auf die Familie der Bosoniden
oder der Bassignygrafen, sondern haben ein anderes Ziel: die Ermittlung der
Herkunft bzw. der Anfänge des hochmittelalterlichen lothringischen Herzogs¬
geschlechtes und späteren Kaiserhauses Habsburg-Lothringen. Die ältesten
bislang bekannten sicheren Spuren verlieren sich in den Jahren um die Jahr¬
tausendwende. In das 10. Jahrhundert gelangte man bisher nur über Ver¬
mutungen und Hypothesen zurück. In großer Menge wurden solche geäußert —
wer wollte früher nicht zur Ehre des Kaiserhauses beitragen?! —, ohne daß
freilich auch nur eine hinreichend gesichert erscheinen kann. Die Fehler sind bei
einer kritischen Sichtung aufzuzeigen. Die sichere Lösung der Frage ist jedoch
nicht auf direktem Wege möglich. Erst durch die Klärung anderer Zusammen¬
hänge — so zuerst der Verwandtschaft Ottos und Irmingards von Hammer¬
stein, die zur Zeit Kaiser Heinrichs II. einen vielumstrittenen Eheprozeß über
sich ergehen lassen mußten, dann der Familie des Pfalzgrafen Gottfried aus der
Zeit Heinrichs L, schließlich der Seitenverwandtschaften der sog. Matfridinger,
12 Dies z. B. auf f. 6v des Liber mem. von Remiremont; vollständiger Abdruck des
Eintrages neuerdings bei H. Keller, Kloster Einsiedeln im ottonischen Schwaben
(1964) S. 15 Anm. 18. Vgl. weiter auch unten Kap. III Anm. 8.
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