gaben herantraten2- Daraus ging notwendig eine gewisse Neigung der ein¬
zelnen Mitglieder der Regierungskommission hervor, nach eigener Einsicht
und Erfahrung zu verwalten und zu regieren und andere Gesichtspunkte
als diejenigen der saarländischen Bevölkerung bei ihren Entscheidungen
mitzusehen. Zum anderen ergab sich daraus auch eine gewisse Dominanz
jener Persönlichkeiten, die sich zuerst am intensivsten in die saarländischen
Probleme eingearbeitet hatten. Darauf beruhte auch der Einfluß Raults
und Morizes in der Kommission, nicht nur auf Eigenart und besonderen
Fähigkeiten dieser beiden Männer. Da die Kontrolle für die Tätigkeit der
Saarregierung beim Völkerbundsrat lag, war die Kommission in ihren
Rechenschaftsberichten ebenfalls auf andere Größenverhältnisse und poli¬
tische Gesichtspunkte hingeordnet als auf den engen saarländischen Raum.
Trotz dieser Gegebenheiten muß man feststellen, daß fast alle Mitglieder
der Regierungskommission eine gute Kenntnis der saarländischen Verhält¬
nisse erlangten und in ihren Entscheidungen Stellungnahme und Wünsche
der Volksvertretung mitsahen. Von einer Reihe der Minister der Regie¬
rungskommission kann man sogar sagen, daß ein gutes Verhältnis zur Saar¬
bevölkerung und eine ernsthafte Würdigung der Gesichtspunkte des Landes¬
rates ihnen ein Anliegen waren: Das gilt natürlich zunächst von dem Saar¬
länder Koßmann, der in engem Kontakt mit der Zentrumspartei arbeitete
und das Vertrauen weiter Kreise der Bevölkerung besaß3; der Spanier
Espinosa De Los Monteros gewann in den wenigen Monaten seiner Tätig¬
keit die volle Sympathie der Saarländer4; Stephens sah die Überbrückung
der Schwierigkeiten zwischen Regierungskommission und Bevölkerung als
seine Hauptaufgabe an5, wurde sehr populär in Saarbrücken6 und machte
sich vor allem in der Frage der französischen Truppen den Standpunkt der
Saarländer zu eigen7; unter Präsident Wilton vollzog sich die Zusammen¬
arbeit zwischen Regierungskommission und Bevölkerung ziemlich reibungs¬
los8. Trotzdem behielten sich alle Mitglieder der Regierungskommission
ihre grundsätzliche Entscheidungsfreiheit vor und empfanden sich letztlich
als Repräsentanten eines „gouvernement international aux pouvoirs excep-
tionnellement etendus, place au-dessus de tous les partis et de tous les
courants d’opinion“9, wie es Rault einmal besonders scharf formuliert hatte.
2 So auch Lambert, a. a. O., S. 201.
3 So auch Katsch, a. a. O., S. 55.
4 Katsch, a. a. O., S. 56; G r oten , Die Kontrolle des Völkerbundes, S. 32.
5 Davon zeugen vor allem ein Brief Stephens’ an Colban v. 10. 1. 1924 (S.D.N.
Archives des Sections du Secretariat, Sect. Pol., Sarre, Nr. 56,3b: Aktenstück Ste¬
phens) und ein Bericht Stephens’ v. 24. 3. 1924 für den englischen Premier (Abschrift
a. a. O., Nr. 56,1: Dossier general I).
6 Vgl. dazu z. B. die Artikel über die Weihnachtsbescherung, die Herr und Frau
Stephens im Dezember 1926 auf eigene Kosten für saarländische Kinder veranstalte¬
ten: S.Z. Nr. 344 v. 19. 12. 1926; S.L.Z. Nr. 343 v. 20. 12. 1926 u. Volksstimme
Nr. 294 v. 20. 12. 1926; außerdem S.Z. v. 28. 6. 1927 „Abschied v. Präsident
G. W. Stephens“; dazu auch M. T. Florinsky, The Saar Struggle, New York 1934,
S. 48; Hirsch, Die Saar von Genf, S. 51.
2 S.D.N. J.O. VIII,4 (1927), S. 403 ff.
8 So auch Lambert, a. a. O., S. 201.
9 S.D.N. J.O. 111,3 (1922), S. 232 (10. period. Bericht).
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