teien135. In den Kundgebungen wurde von der Delegation berichtet. Die
Kontakte in Genf waren teilweise gewonnen, und die Chancen für die
politische Zukunft waren erkannt. Die Ratsvertreter hatten sich auf Ge¬
spräche eingelassen, die sich nicht auf die juristische Erfüllung des Vertrages,
sondern auf den Geist des internationalen Statutes bezogen136. Diese Akti¬
vität führte in kurzer Zeit zu weiteren Schritten, die die Verhältnisse in
Fluß brachten. Zunächst verweigerten die Kreistage und der Stadtrat von
Saarbrücken in schriftlichen Resolutionen an den Völkerbund der Regie¬
rungskommission die weitere Erstellung von Gutachten zu Gesetzesentwür¬
fen mit der Begründung, daß ihre Stellungnahme nicht beachtet worden sei
und daß sie für diese Aufgaben nicht kompetent seien137. Aufschlußreich für
die politische Konstellation an der Saar war die Begründung des Kreistages
von Saarbrücken-Land; gewerkschaftliche, demokratische und national¬
politische Forderungen waren hier miteinander verschmolzen. Die Stellung¬
nahme manifestierte die Erfassung der verschiedenen Schichten der Bevölke¬
rung. Man forderte vom Völkerbund: Errichtung eines saarländischen Par¬
lamentes, Einführung des Betriebsrätegesetzes, Schaffung einer Arbeits¬
kammer für das Saargebiet, Einführung aller Sozialgesetze, die seit 1918
in Deutschland verändert oder in Kraft gesetzt wurden, Ausbau der Ver¬
mögenssteuer. Außerdem wurden die Parteien und Körperschaften aufge¬
fordert, Repräsentanten zum Völkerbundsrat zu entsenden, damit die jetzi¬
gen Kommissionsmitglieder abberufen würden und damit vor allem ein
Präsident, der aus einem neutralen Land stamme und die deutsche Sprache
beherrsche, ernannt würde138. Bis Dezember 1921 hatten sich dann schlie߬
lich die politischen Parteien auf eine neue gemeinsame große Denkschrift139
geeinigt, die die politische Linie der saarländischen nationalen Einheitsfront
der Parteien festlegte. Der Einleitungsabschnitt dieser Denkschrift lautete:
„Die Unterzeichneten politischen Parteien, welche, abgesehen von einer kaum
nennenswerten Gruppe der Kommunisten, die gesamte Bevölkerung des Saar¬
gebietes vertreten, gestatten sich, dem hohen Völkerbund folgendes ergebenst zu
unterbreiten:
Beim Amtsantritt der Regierungskommission des Saargebietes haben die politischen
Parteien ihre grundsätzliche Bereitwilligkeit erklärt, auf dem Boden des Friedens¬
vertrages mit einer vom Völkerbund eingesetzten Regierungskommission loyal zum
Wohle der Bevölkerung zu arbeiten. Ach heute beseelt uns derselbe aufrichtige
Wunsch. Wir sind davon durchdrungen, daß gerade das Saargebiet, als ein vom
Völkerbund verwaltetes Land, dazu berufen ist, die vom Völkerbund proklamier¬
ten erhabenen Ziele zu verwirklichen. Dieses ist nur möglich durch ein einträchtiges
Zusammenarbeiten zwischen Regierungskommission und Bevölkerung, aber der
Gegensatz zwischen der jetzigen Regierungskommission und der Bevölkerung ist
außerordentlich groß geworden.
Wir erheben feierlich Protest dagegen, daß die Regierungskommission die von ihr
in ihren offiziellen Berichten nach Genf angeführten großen Schwierigkeiten im
135 S.D.N. J.O. III,3 (1922), S. 226.
136 Röchling, a. a. O., S. 71.
137 S.D.N. Dokument C. 11. M. 40. 1922. I.
138 Ebenda.
139 S.D.N. Dokument C. 10. M. 39. 1922. I.
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