Full text: Parteien und Politik im Saargebiet unter dem Völkerbundsregime 1920 - 1935

führung Moltke-Huitfeldts und besonders an der Tatsache, daß dieser min¬ 
destens zwei Tage der Woche in Paris weilte120. Gilchrist begann sich auch 
an der Selbstherrlichkeit Raults zu stoßen und forderte eine erweiterte 
Rechenschaftsablage über die Regierungsführung, besonders über das Bud¬ 
get121. Das Sekretariat wurde genau über die internen Vorgänge in der 
Regierungskommission und die autokratische Regierungsweise Raults durch 
die ausführliche Korrespondenz Waughs mit Colban, besonders aber mit 
Gilchrist, unterrichtet122. Waugh rekurrierte in sachlichen Konflikten an das 
Sekretariat. Denselben Weg schlug Nippold, der Präsident des Saarlouiser 
Obergerichtes, ein123. So zeigte sich sehr rasch, daß in einem solchen inter¬ 
nationalen Regierungssystem, wie es der Versailler Vertrag vorgesehen 
hatte, trotz der Verbiegungen der ursprünglichen Konzeption durch die 
französische Präsidentschaft und die profranzösische Mehrheit der Kom¬ 
mission doch noch Korrektur- und Kontrollfaktoren lagen, die in kritischen 
Situationen wirksam werden konnten. Im ganzen war man im Sekretariat 
des Völkerbundes aber von der fleißigen und sorgfältigen Verwaltungsarbeit 
Raults beeindruckt und billigte die Grundzüge seiner Politik als mit dem 
Vertrag übereinstimmend. Der Widerstand an der Saar, die deutschen Pro¬ 
teste in Genf, die unmerkliche Intensivierung der Kontrolle durch Sekreta¬ 
riat und Rat, wachsende Schwierigkeiten mit Waugh, zwangen Rault zu 
einer gewissen Milderung seiner Maßnahmen, z. B. in der Frage der Aus¬ 
weisung von Saarländern und der Anwendung des Beamtenstatuts124. So 
bahnte sich, für die Beteiligten fast unbewußt, eine erste Modifizierung des 
Systems an. Rault und das Sekretariat glaubten damals, daß eine gute und 
erfolgreiche Völkerbundsverwaltung mit einem zufriedenstellenden Schutz 
der französischen Interessen zu vereinen sei. 
Erste Erfolge der politischen Parteien durch ihre Interventionen in Genf 
Eine neue Phase der Entwicklung begann, als plötzlich und unerwartet 
Ende September 1921 in Genf eine große saarländische Delegation zum 
Zeitpunkt der Ratssitzung erschien125 und versuchte, über die Regierungs¬ 
kommission hinweg und im Angriff auf diese die Ratsmitglieder über die 
Saar zu orientieren und damit aus der Enge der saarländischen Obstruktion 
einen Weg zur Einflußnahme zu gewinnen. Die Regierungskommission er¬ 
fuhr erst nach der Abreise der Delegation von diesem Schritt126. Rault war 
empört und bestürzt und konnte nur durch den Druck Waughs dazu bewegt 
werden, die ihm übersandte Denkschrift der Delegation nach Genf weiter¬ 
120 S.D.N. Archives des Sections d. Secretariat, Sect. Pol. Sarre, Nr. 56 (2): Hier eine 
Reihe Aufzeichnungen, die sich mit Moltke-Huitfeldt beschäftigen. 
121 Ebenda, Nr. 57, Aktenstück Colban (personnel), Brief Gilchrists v. 20. 5. 1921 an 
Colban, daß es notwendig sei, Rault etwas mehr Respekt beizubringen und daß er 
diesem wegen der Vorlegung des Budgets geschrieben habe. 
122 Ebenda, Nr. 57, Aktenstück Waugh enthält diese Korrespondenz. 
123 Ebenda, Nr. 57, Aktenstück Cour supreme de Justice. 
124 S.D.N. J.O. 1,6 (1920), S. 403; 11,7 (1921), S. 690. 
125 Bes. Katsch, a. a. O., S. 148 f.; Röchling, Wir halten die Saar, S. 69ff. 
126 S.D.N. J.O. III,1 (1922), S. 43 ff. 
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