führung Moltke-Huitfeldts und besonders an der Tatsache, daß dieser min¬
destens zwei Tage der Woche in Paris weilte120. Gilchrist begann sich auch
an der Selbstherrlichkeit Raults zu stoßen und forderte eine erweiterte
Rechenschaftsablage über die Regierungsführung, besonders über das Bud¬
get121. Das Sekretariat wurde genau über die internen Vorgänge in der
Regierungskommission und die autokratische Regierungsweise Raults durch
die ausführliche Korrespondenz Waughs mit Colban, besonders aber mit
Gilchrist, unterrichtet122. Waugh rekurrierte in sachlichen Konflikten an das
Sekretariat. Denselben Weg schlug Nippold, der Präsident des Saarlouiser
Obergerichtes, ein123. So zeigte sich sehr rasch, daß in einem solchen inter¬
nationalen Regierungssystem, wie es der Versailler Vertrag vorgesehen
hatte, trotz der Verbiegungen der ursprünglichen Konzeption durch die
französische Präsidentschaft und die profranzösische Mehrheit der Kom¬
mission doch noch Korrektur- und Kontrollfaktoren lagen, die in kritischen
Situationen wirksam werden konnten. Im ganzen war man im Sekretariat
des Völkerbundes aber von der fleißigen und sorgfältigen Verwaltungsarbeit
Raults beeindruckt und billigte die Grundzüge seiner Politik als mit dem
Vertrag übereinstimmend. Der Widerstand an der Saar, die deutschen Pro¬
teste in Genf, die unmerkliche Intensivierung der Kontrolle durch Sekreta¬
riat und Rat, wachsende Schwierigkeiten mit Waugh, zwangen Rault zu
einer gewissen Milderung seiner Maßnahmen, z. B. in der Frage der Aus¬
weisung von Saarländern und der Anwendung des Beamtenstatuts124. So
bahnte sich, für die Beteiligten fast unbewußt, eine erste Modifizierung des
Systems an. Rault und das Sekretariat glaubten damals, daß eine gute und
erfolgreiche Völkerbundsverwaltung mit einem zufriedenstellenden Schutz
der französischen Interessen zu vereinen sei.
Erste Erfolge der politischen Parteien durch ihre Interventionen in Genf
Eine neue Phase der Entwicklung begann, als plötzlich und unerwartet
Ende September 1921 in Genf eine große saarländische Delegation zum
Zeitpunkt der Ratssitzung erschien125 und versuchte, über die Regierungs¬
kommission hinweg und im Angriff auf diese die Ratsmitglieder über die
Saar zu orientieren und damit aus der Enge der saarländischen Obstruktion
einen Weg zur Einflußnahme zu gewinnen. Die Regierungskommission er¬
fuhr erst nach der Abreise der Delegation von diesem Schritt126. Rault war
empört und bestürzt und konnte nur durch den Druck Waughs dazu bewegt
werden, die ihm übersandte Denkschrift der Delegation nach Genf weiter¬
120 S.D.N. Archives des Sections d. Secretariat, Sect. Pol. Sarre, Nr. 56 (2): Hier eine
Reihe Aufzeichnungen, die sich mit Moltke-Huitfeldt beschäftigen.
121 Ebenda, Nr. 57, Aktenstück Colban (personnel), Brief Gilchrists v. 20. 5. 1921 an
Colban, daß es notwendig sei, Rault etwas mehr Respekt beizubringen und daß er
diesem wegen der Vorlegung des Budgets geschrieben habe.
122 Ebenda, Nr. 57, Aktenstück Waugh enthält diese Korrespondenz.
123 Ebenda, Nr. 57, Aktenstück Cour supreme de Justice.
124 S.D.N. J.O. 1,6 (1920), S. 403; 11,7 (1921), S. 690.
125 Bes. Katsch, a. a. O., S. 148 f.; Röchling, Wir halten die Saar, S. 69ff.
126 S.D.N. J.O. III,1 (1922), S. 43 ff.
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