Ähnliche grundsätzliche Spannungen enthielten auch die Bestimmungen, die
das Gebiet an die Verwaltung des Völkerbundes banden. Ganz anders als
für das übrige Deutschland konnte für die Saarbevölkerung in der Neu¬
ordnung klar werden, daß der Friedens vertrag von Versailles mit Institu¬
tion und Idealen des Völkerbundes verbunden war. Damit war für die
Bevölkerung gleichsam der Zugang zu den konstruktiven Elementen der ge¬
schaffenen Neuordnung offen, aber die Vorrechte Frankreichs wie die be¬
sonderen Möglichkeiten einer weitergehenden Einflußnahme Frankreichs auf
die Saarverhältnisse mußten von allem Anfang an einen solchen Weg er¬
schweren. Fiinzu kam noch ein anderes wesentliches Problem in den Bestim¬
mungen über die Verwaltung des Gebietes. Rechte und Freiheiten der Bevöl¬
kerung waren zwar garantiert, aber zur weiteren Gestaltung der gesetz¬
lichen Verhältnisse war nur eine begrenzte Mitwirkung der Bevölkerung
vorgesehen. Die Bevölkerung sah sich damit in dem Augenblick in weitem
Umfange politischer Rechte entkleidet, als sie in revolutionärem Aufbruch
der Fesseln des patriarchalischen Systems und des preußischen Dreiklassen¬
wahlrechtes ledig geworden war. Diese Beschränkung der politischen Selbst¬
bestimmung durch das Vertragswerk mußte um so größere Spannungen
schaffen, da im Hinblick auf die Abstimmung der Saarbevölkerung poli¬
tische Bewußtseinsbildung und Vorbereitung der Entscheidung als wichtigste
Aufgabe erschienen.
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