Deutschland in Frage kam. Damit war die vorgesehene fünfzehnjährige
Dauer des Sonderregimes, von dem Frankreich sich eine Gewinnung der
Saarbevölkerung versprochen hatte, letztlich politisch sinnlos geworden. Das
nationaldemokratische Denken der Saarländer führte zu der konsequenten
Forderung, daß das Saarsystem als politisch und, da die nordfranzösischen
Kohlengruben wiederhergestellt waren, auch als wirtschaftlich überholt zu
liquidieren sei. Die außenpolitische Konzeption der politischen Parteien der
Saar stand deshalb, besonders seit 1926, ganz unter dem Gedanken einer
möglichst baldigen und vorzeitigen Rückgliederung. Mit diesem Programm
stießen die politischen Parteien an entscheidende Grenzen ihres Einflusses
und des bestehenden Systems. Einmal zeigte sich, daß der Rahmen der poli¬
tischen Aktivität des Rates und Sekretariats des Völkerbundes in der Saar¬
frage nicht über die Vertragsbestimmungen von Versailles hinaus auszu¬
weiten war. Im Vertrag war dem Völkerbund das Saargebiet als Verwal¬
tungsaufgabe zugewiesen worden, und der Rat konnte nicht ohne Über¬
schreitung des Vertrages eine Basis für internationale Verhandlungen über
eine vorzeitige Rückgliederung der Saar gewinnen. Für die Saarländer waren
die im System liegenden Möglichkeiten zu einer erfolgreichen Politik durch
Vorstellungen beim Völkerbund ausgeschöpft. Hinfort knüpften sich ihre
Hoffnungen an die deutsch-französische Verständigungspolitik Briands und
Stresemanns. So ging die politische Aktivität der Parteien bei den Ratsmit¬
gliedern in Genf zurück zugunsten einer Zusammenarbeit mit der Deutschen
Reichsregierung. Während jedoch auf der internationalen Ebene des Völker¬
bundes bei der Behandlung der Saarfrage ideelle Vorstellungen eine Rolle
gespielt hatten, änderte sich jetzt die Situation grundlegend. In den Bemü¬
hungen um eine Bereinigung der Saarfrage durch bilaterale Verhandlungen
mußten die realen Interessen Frankreichs an der Saar wieder eine größere
Bedeutung gewinnen; die Gegensätze zwischen der außenpolitischen Kon¬
zeption der Saarländer und der deutschen Revisionspolitik einerseits und
andererseits Briands Politik der Sicherheit und europäischen Solidarität, zu
deren wesentlichem Bestandteil auch der Versailler Vertrag gehörte, mußten
sich in aller Schärfe zeigen. Das Scheitern der Saarverhandlungen des Jah¬
res 1929/30 war für die saarländischen Parteien eine große Enttäuschung,
da Frankreich nach ihrer Auffassung sich einer Liquidation eines Unrechts
entzogen hatte und damit eine Friedensordnung aus westlich-demokratischen
Vorstellungen in Frage stellte. So führten die Verhandlungen erneut zu einer
nationalen Erregung an der Saar gegenüber Frankreich und zu der Auffas¬
sung, daß man sich in Zukunft vor der Politik französischer Rechtskreise,
die den Status quo zur Behauptung wirtschaftlicher Vorteile Frankreichs
erstrebten, vorsehen müsse. Der einzige Inhalt der saarländischen Politik
blieben hinfort vage Hoffnungen auf eine vorzeitige Rückgliederung, Wei¬
terpropagierung einer nationalen Entscheidung im Plebiszit und die Ver¬
tretung der wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Bevölkerung. Die
Zeit der Ausformung der Programme und der großen Erfolge in Genf war
vorbei, man verwuchs immer stärker mit den Konflikten der Spätphase der
Weimarer Republik, es war gegenüber den ersten Jahren des Kampfes und
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