2. Allgemeine Auswirkungen der nationalsozialistischen Machtergreifung
auf das Saargebiet
Obwohl das Saargebiet eine von Deutschland unabhängige Verwaltungs¬
einheit darstellte, übten seit dem 30. Januar 1933 die politischen Umbildun¬
gen im Deutschen Reich auch auf dieses Gebiet und seine Verhältnisse einen
tiefgehenden Einfluß aus. Für die politischen Parteien der Saar bedeutete
die Regierung Hitler eine große Enttäuschung, die sich besonders in den
Kommentaren der Zentrumspresse und der sozialistischen Zeitungen aus¬
drückte45. Für alle Parteien stellte aber die deutsche Entwicklung zunächst
nur eine innenpolitische Angelegenheit des Reiches dar; man nahm lebhaft
und leidenschaftlich Anteil und Stellung, da man sich Deutschland zugehörig
und deshalb betroffen fühlte. Die Probleme der Auseinandersetzung der
deutschen Mutterparteien mit der neuen Regierung und die Fragen, ob die
NSDAP sich in der Regierung behaupten, ob die politische Verantwortung
die Partei zu neuen Wegen führen und die Verhältnisse sich dadurch nor¬
malisieren würden, standen auch für die saarländischen Parteien 1933 im
Vordergrund. Ihre traditionelle und selbstverständliche nationale Haltung
wurde von diesen Fragen grundsätzlich nid\t berührt. Man war sich bewußt,
im Saargebiet, wo Rechtssicherheit herrschte, eine größere Freiheit zu einer
Auseinandersetzung mit der neuen Regierung zu besitzen und wollte sie zur
Unterstützung der deutschen Parteien benützen. Bei den engen und viel¬
fältigen Verbindungen des saarländischen politischen, sozialen, wirtschaft¬
lichen und geistigen Lebens zu Deutschland zeigte sich aber rasch, daß Ein¬
fluß und Macht der nationalsozialistischen Reichsregierung wie der NSDAP
auf verschiedenen Wegen und auf mancherlei Weise auch im Saargebiet
wirksam wurden und die Möglichkeit einer von Deutschland unabhängigen
Entwicklung einschränkten.
Hitlers wie seiner Mitarbeiter Einfluß in der Gesamtregierung und die
Übernahme von Ministerien und Staatsämtern durch führende National¬
sozialisten wirkten sich auf die Dauer auch auf die Arbeit jener Staatsein¬
richtungen aus, die amtlich mit der Saarfrage und der Betreuung der Saar¬
bevölkerung befaßt waren, wie das Auswärtige Amt oder das Saarbüro des
Preußischen Innenministeriums unter Leitung von Regierungsrat Water¬
mann in Köln46. Mit Legationsrat Voigt vom Auswärtigen Amt und mit
45 Vgl. dazu besonders unten S. 270 f. u. S. 282.
46 Uber die Organisation der Stelle Watermann BA Koblenz, Reichskanzlei R 43 1/252,
Rk 6331, Vermerk vom 16. 7. 1932: Die Betreuungsarbeit im Saargebiet wurde pari¬
tätisch vom Reichsministerium des Innern, den Preußischen Ministerien des Innern,
für Handel und Gewerbe und für Wohlfahrt ausgeübt; eine zentrale Verwaltung der
Gelder für die Saar gab es in Berlin nicht. „Dagegen unterhält das Preußische Ministe¬
rium des Innern ein Büro in Köln, das von Regierungsrat Watermann geleitet wird
und die Aufgabe hat, die von den vier genannten Ressorts bewilligten Gelder ihrem
Verwendungszweck im Saargebiet zuzuführen.“ Die Reg. Kom. erhielt erst durch die
Haussuchung bei der Deutsdien Front einen Einblick in die Arbeit der Stelle Water¬
mann und interpretierte säe ganz im Sinne der nat.soz. Einflußnahme auf das Saar¬
gebiet. In den Berichten der Reg. Kom. in den Jahren 1933 und 1934 wird nicht
unterschieden zwischen der traditionellen Zusammenarbeit der Parteien mit deut¬
schen Stellen und direkter nat.soz. Einflußnahme. Dadurch vermitteln die Berichte in
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