überschätzt werden darf, so wurde ihre Tätigkeit für die Entwicklung des
politischen Klimas an der Saar vor und während der Saarverhandlungen
von Bedeutung. In solchen Bemühungen erkannte man an der Saar mit
Recht ein neues Programm französischer Rechtskreise, das die Saarverhand¬
lungen verhindern oder erschweren, eine frühzeitige Lösung vereiteln und
den Kampf um die Saar durch die vorgeschlagene status-quo-Lösung erneut
entfachen sollte. Die politische Erregung im Saargebiet wuchs, und für die
bevorstehenden Saarverhandlungen wurde auch aus nationalpolitischen
Gründen leidenschaftlich jede Beteiligung französischen Kapitals an den
Saargruben oder eine Privatisierung der Gruben abgelehnt. Das Bekannt¬
werden der Warndtpachtverträge49 ließ die Befürchtungen wachsen, die
Franzosen wollten auf dieser Basis und auf Grund der Abhängigkeit der
Warndtarbeiter, die auf lothringischen Gruben arbeiteten, sich wenigstens
dieses Gebiet sichern50. In dieser Situation kam es zu programmatischen Er¬
klärungen der Parteien, vieler Verbände und Gemeinden zu den bevor¬
stehenden Saarverhandlungen51. Vor allem setzte der Druck der saarlän¬
dischen Parteiführer auf die deutschen Mutterparteien ein, die ebenfalls zu
grundsätzlichen Erklärungen über die Forderungen bei einer frühzeitigen
Saarrückgliederung schritten und damit der öffentlichen Meinung an der
Saar und in Deutschland eine große Geschlossenheit in ihrem Saarprogramm
vermittelten52.
Die saarländischen Parteien hatten in den Jahren von 1926 bis 1929 immer
wieder die Aufmerksamkeit des Deutschen Reiches, Frankreichs und der
anderen europäischen Mächte auf ihren Wunsch einer vorzeitigen Rückglie¬
derung gelenkt. Sie wurden dadurch zu beredten Vertretern jener Vorstel¬
lung, daß eine Politik der europäischen Verständigung und Befriedung be¬
gleitet sein müsse von einer Revisionspolitik, insbesondere von der Beseiti¬
49 Die Gruben Frankenholz (am 30. Okt. 1920), Carlsbrunn (am 10. Mai 1924) und
Großrosseln (am 1. Juli 1927) waren an die französische Industrie verpachtet worden.
Die Pachtverträge enthielten Vorbehalte für das Jahr 1935. Abschriften in A. A. II
Bes. Geb., Saargebiet, Rückgliederung, Bd. 7.
50 A. A. II Bes. Geb., Saargebiet, Rückgliederung, Bd. 2, Nr. 13; II SG 1514, Gutachten
des preußischen Ministers für Handel und Gewerbe v. 31. 7. 1929, S. 2. Landesrat d.
Saargeb., Sten. Ber. v. 11. 10. 1927, S. 193; vgl. außerdem Weber, a.a.O., S. 179ff.
51 А. А., а. а. O-, finden sich viele Resolutionen von saarländischen Parteien, Gemeinden
und Verbänden, die alle Rückgliederung und Grubenbesitz für Preußen und Bayern
forderten: Bd. 1,8; 1,12; 1,14; 1,32; Bd. 2,14; 2,16; Bd. 3,26; 3,36; Bd. 3,41/42; 3,49;
Bd. 4,8; 4,27; 4,39; 4,74. Anläßlich des zehnjährigen Bestehens des Versailler Vertrages
fanden am 28. Juni 1929 in Saarbrücken große Kundgebungen statt, bei denen die
Rückgliederung gefordert und die entsprechenden Bedingungen genannt wurden, dazu
Wambaugh, a. a. O., S. 107.
52 Dazu Journal de Genève v. 7. 7. 1929 „La question de la Sarre devant l’opinion alle¬
mande“; in den großen deutschen Zeitungen, besonders der Frankfurter Zeitung, der
Kölnischen Zeitung, der Germania, der Vossische Zeitung und der Berliner Börsen¬
zeitung erschienen regelmäßig Artikel, die denselben Standpunkt vertraten wie die
Saarparteien. Der Einfluß der Saarparteien auf die Mutterparteien zeigte sich vor und
während der Verhandlungen besonders stark bei der SPD. Braun entwickelte das
saarländische Programm auf dem Parteitag in Magdeburg im Juni 1929 (A. A. II
Bes. Geb., Saargebiet, Rückgliederung, Bd. 1, St. 8); Breitscheid sogar in Frankreich
(ebenda, Bd. 1, St. 32; Hilferding widersprach im August in Den Haag bereits dem
Franzosen Loucheur in der Grubenfrage unter Hinweis auf die saarländische Berg¬
arbeiterschaft (ebenda, Bd. 3, St. 20).
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