Full text: Parteien und Politik im Saargebiet unter dem Völkerbundsregime 1920 - 1935

kein Heil darin, daß man alle möglichen Pflästerchen auf unsere Wunden klebt1. 
Wir wollen eine absolute Heilung, wir wollen die Rückkehr zu Deutschland, zu 
Preußen und Bayern, bedingungslos und möglichst bald . . .“ 2. 
In seinen weiteren Ausführungen vertrat Levacher die Auffassung, daß eine 
Einigung zwischen Deutschland und Frankreich über die Rückgliederung der 
Saar entscheidend sei, dann werde der Völkerbund, der an sich für die Saar 
zuständig sei, auch ohne Schwierigkeiten zustimmen. In der Rede Levachers 
zeichneten sich auch schon konkretere Vorstellungen ab. Eine Einigung könne 
nicht auf Kosten der Kohlenschätze erfolgen, die Gruben dürften nicht 
Gegenstand internationaler Spekulation werden und in die Hände inter¬ 
nationaler Syndikate übergehen3. Die Rede des Sozialdemokraten Hoff- 
mann4 stand stärker unter dem Eindruck der internationalen Bedeutung von 
Locarno. Er zitierte aus den Reden um Locarno das Wort Briands von „der 
europäischen Solidarität“, zu der Deutschland und Frankreich entschlossen 
seien, und die Charakterisierung von Locarno als „Wendepunkt der Ge¬ 
schichte“. Er betonte die Notwendigkeit der Verständigung und forderte 
eine europäische Wirtschaftseinigung und Zollunion. In Locarno sah er aber 
auch die Bestätigung der Nachkriegspolitik der Sozialdemokraten und er¬ 
hoffte sich von dieser europäischen Politik gute Auswirkungen auf Rhein 
und Saar, besonders das Verschwinden Raults und des „Saarpoincarismus“. 
So schlug auch die Sozialdemokratische Partei sofort den Bogen zur Saar¬ 
situation, aber die Ausführungen über die Saar bezogen sich bei aller Schärfe 
der Formulierungen noch stärker auf die inneren Saarverhältnisse, denn auf 
ein neues außenpolitisches Programm. Auch der Sprecher der Deutsch-Saar- 
ländischen Volkspartei, Schmelzer, äußerte sich positiv zu Locarno und 
hoffte auf Konsequenzen für die Saar, wies aber in realistischerer Einschät¬ 
zung der Situation in Frankreich darauf hin, daß solche Rückwirkungen für 
die Saar von der französischen Presse bestritten würden5. Der KPD-Abge- 
ordnete Reinhard griff den Locarno vertrag an; er diene den Interessen der 
Bourgeoisie und dem Imperialismus und bereite den Kriegsmarsch gegen 
Rußland vor. Er wies zur Unterstreichung seiner Auffassung auf die natio¬ 
1 Diese Wendung stellt eine Apostrophierung der Rede Briands bei der Unterzeichnung 
des Locarnovertrages dar. Briand sagte: „... Entre nos deux pays, il reste des surfaces 
de friction, il y a des points douloureux, il faut que le pacte signe soit un bäume sur 
ces plaies...“ G. S u a r e z, Briand, Bd. 6, Paris 1952, S. 129. 
2 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 17. 11. 1925, S. 3. 
3 Ebenda, S. 4; Der Gedanke der Errichtung eines „Kondominiums“ an der Saar in der 
Form von gemeinsamen französischen und deutschen Anteilen an den Saargruben 
scheint zuerst von Colban den Vertretern des Saargebiets vorgeschlagen worden zu 
sein. So stellte es Levacher bei einem Empfang der saarländischen Parteivertreter bei 
Reichsaußenminister Curtius am 30. 11. 1929 dar (A. A. II Bes. Geb., Saargebiet, Rück¬ 
gliederung Bd. 6, Stück 28 II SG 2597). Die oben genannten Darlegungen Levachers 
sind 1925 nur verständlich, wenn solche Tendenzen bereits damals den politischen 
Parteien bekannt waren. Die Darstellung Levachers v. 30. 11. 1929 dürfte deshalb 
richtig sein. Ein Schreiben des A.A. v. 14. 10. 1924 spricht davon, daß das Völkerbund¬ 
sekretariat und die Franzosen (Herriot) bereits damals für eine Rückgliederung ohne 
Abstimmung waren, wenn die Gruben ein internationales Syndikat würden und einige 
Dörfer an Frankreich kämen (AStA München, MW Nr. 8261). 
4 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 17. 11. 1925, S. 11 ff.; dort auch die folgenden 
Zitate. 
5 Ebenda, Nachmittagssitzung v. 17. 11. 1925, S. 3. 
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