kleinen Hauses und Gartens. Ländlicher Rückhalt, planmäßige Sozialpolitik
der preußischen Bergwerksverwaltung und der Eisenindustriellen unter Füh¬
rung des Freiherrn Carl Ferdinand von Stumm-Halberg (1836—1901) be¬
günstigten die Besitzbildung und Stufung der Besitzverhältnisse bei der
Arbeiterschaft und verhinderten weitgehend ihre Proletarisierung4. Lebens¬
stil und Lebenshaltung unterschieden sich nicht wesentlich in Industriezentren
und agrarischen Gebieten. Die Industrialisierung im Saargebiet ließ Bin¬
dungen an Haus, Hof und Boden, Dorfgemeinschaft und Kirche bestehen
und schuf neue an Grube und Eisenwerk und ihre Organisationen wie
Knappschaft, Bergmannskapellen usw. Die geistige Haltung der saarlän¬
dischen Arbeiterschaft behielt dadurch ein konservatives Gepräge, und das
Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer blieb bis an die Schwelle
des Ersten Weltkrieges durchgängig patriarchalisch. Die Gleichartigkeit der
Arbeitsmöglichkeiten und der geringe Bedarf an Spezialarbeitern (mit Aus¬
nahme der Glasindustrie) trugen ebenfalls zur langen Dauer dieser Ord¬
nungsformen bei und verhinderten das Eindringen fremden Ideengutes und
fremder Arbeiter5. Das Saarland mit seiner homogenen Arbeiterschaft stellte
zwar ein klar abzugrenzendes Industriezentrum dar, war aber wirtschaftlich
nicht selbständig lebensfähig6, sondern blieb für die Einfuhr von Eisenerz
und den Export von Kohle, Eisen und Stahl auf Elsaß-Lothringen und den
süddeutschen Markt angewiesen.
Der Geschlossenheit des Industriegebietes und seiner Arbeiterschaft ent¬
sprach aber weder eine kulturelle noch eine politische Einheit des Saarlandes,
da dem Gebiet eine gemeinsame historische Vergangenheit und ein geistig¬
politischer Mittelpunkt fehlten. Die über hundertjährige Zugehörigkeit zu
den Königreichen Preußen und Bayern zog eine beachtliche Trennungs¬
linie durch die saarländische Bevölkerung, der man sich in den ersten Jahr¬
zehnten nach 1920 durchaus bewußt war und zum Teil bis heute noch ist.
Ebenso bewußt war man sich der Gliederung in katholische und evangelische
Städte und Dörfer. Aber nicht nur in konfessioneller Hinsicht wirkte die
territoriale Zersplitterung des Saargebietes aus der Zeit vor der Französi¬
schen Revolution nach, sondern auch die ehemalige Zugehörigkeit zu den
großen Territorien Kurtrier, Pfalz und Lothringen zeigte sich noch bis ins
20. Jahrhundert in der Bindung der Bevölkerung an die Städte Trier, Speyer
und Metz. Sie war vielfach, besonders in den agrarischen Randgebieten,
4 Vgl. über die Entwicklung der Struktur der saarländischen Arbeiterschaft und ihrer
Sozial Verhältnisse besonders folgende Literatur: A. v. Brandt, Zur sozialen Ent¬
wicklung im Saargebiet, Leipzig 1904; K. A. Gabel, Kämpfe und Werden der
Hüttenarbeiterorganisationen an der Saar, Saarbrücken o.J. (1921); H. Junghann,
Das Schlafhaus- und Einliegerwesen im Bezirk der königlichen Bergwerksdirektion
Saarbrüchen, Berlin 1921; E. Müller, Die Entwicklung der Arbeiterverhältnisse auf
den staatlichen Steinkohlenbergwerken von 1816 bis 1903, Berlin 1904; O. Rix-
ecker, Die Bevölkerungsverteilung im Saargebiet, Diss., Berlin 1929; A. Schorr,
Zur Soziologie des Industriearbeiters an der Saar, Völklingen 1931; E. Straus, Die
gesellschaftliche Gliederung des Saargebiets, Diss., Frankfurt 1934; außerdem Bellot,
a. a. O., S. 3—13, S. 100—119, S. 179—203.
5 So auch Straus, a. a. O-, S. 121; Straus sieht in dieser Tatsache auch einen wesent¬
lichen Grund für den geringen Einfluß der Sozialdemokraten an der Saar vor 1914.
6 So auch M. Lambert, The Saar, London 1934, S. 133.
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