„Das Saargebiet ist durch den Vertrag von Versailles ohne Befragen der
Einwohner zu Unrecht von der deutschen Nation und Spracheinheit abge¬
rissen worden . . „Lostrennung vom Reiche“, „Losreißung vom Deut¬
schen Reiche“, „Französisierungsbestrebungen“ traten als Termini auf und
bewegten sich in den im Saargebiet geläufigen Vorstellungen, wenn sie auch
in die internationale Konzeption eingeordnet waren. Der Kommunismus an
der Saar war deshalb primär Ausdruck der unzufriedenen Arbeiterschichten
und bedeutete zugleich eine Radikalisierung der sozialen Forderungen und
der nationalpolitischen Verteidigungsposition der saarländischen Arbeiter¬
schaft.
5. Das System der politischen Parteien des Saargebiets
Das politische Leben des Saargebiets wurde während der Zeit der Völker¬
bundsregierung von denselben Parteien wie im Deutschen Reich bestimmt1.
Der Versuch, zur Neugründung einer Partei zu gelangen, die den französi¬
schen Saarinteressen diente, wurde zu den Landesratswahlen des Jahres 1924
unternommen, als der „Saarbund“ als „Saarländische Arbeitsgemeinschaft“
eine Liste aufstellte, aber nur 2,7 Prozent der gültigen Stimmen erhielt2.
Dieser Versuch wurde nicht wiederholt.
Die saarländischen Parteien wurzelten in ihrer grundlegenden Program¬
matik in den deutschen Mutterparteien. Die Untersuchung ihrer Ideenwelt
ergab besonders für die Zentrumspartei und die Sozialdemokratische Partei
den Tatbestand, daß ihre prinzipiellen Konzeptionen, die vom Katholizis¬
mus bzw. Sozialismus geprägt waren, zur Begründung der spezifisch saar¬
ländischen Aufgaben herangezogen wurden und dadurch die Saarprogramme
der Parteien ideologisch unterbauten. Auch die organisatorische Verbindung
der saarländischen mit den deutschen Parteien blieb erhalten. Der Wider¬
stand, den die Regierungskommission zunächst unter Raults Präsidentschaft
dagegen geleistet hatte, mußte aufgegeben werden, und nach einer gewissen
Lockerung im Anfangsstadium der Entwicklung wurden die Beziehungen
mit den deutschen Mutterparteien wieder intensiviert3. Bedeutende deutsche
Politiker kamen als Redner für die Landesratswahl im Jahre 1928 und
später an die Saar4; die Reichstagsfraktion und der Vorstand der Deutschen
Volkspartei tagten in Saarbrücken5, führende Mitglieder der saarländischen
Parteien wurden in den Deutschen Reichstag und den Preußischen Landtag
gewählt6; saarländische Politiker sprachen in den Wahlversammlungen der
1 So auch Katsch, a. a. O., S. 109. Die Arbeit von Katsch geht auf den Seiten 109
bis 114 auf die politischen Parteien ein und enthält gute Hinweise.
2 Ebenda, S. 112; außerdem Anlage 1, unten S. 335.
3 Ebenda, S. 109 f.; vgl. auch oben S. 172.
4 Vgl. oben S. 169 f. u. S. 178; außerdem S.Z. Nr. 83 v. 24. 3. 1928 „Reichskanzler Dr.
Luther in Saarbrücken“; Katsch, a. a. O., S. 110.
3 S.Z. Nr. 264 v. 25. 9. 1928 u. S.Z. Nr. 113 v. 17. 5. 1931.
6 1932 waren folgende saarländischen Politiker Mitglieder deutscher Vertretungskörper¬
schaften: Kuhnen — Zentrumspartei, Mitglied des Deutschen Reichstags; Schwarz —
Sozialdemokratische Partei, Mitgl. d. Reichstags; Hillenbrand — Zentrum, Mitglied
des Preußischen Landtags. Alle drei waren Gewerkschaftsvertreter.
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