Stimmen zugunsten des Kommunismus festzustellen56. In diesen Orten
hatten die Sozialdemokraten nach 1919 in der evangelischen Bevölkerung
einen festen Stamm von Wählern gewonnen, der ihnen treu blieb. In den
katholischen Orten war das wegen der Gegnerschaft der Kirche nicht in dem
Ausmaße möglich gewesen. Dort hatte die sozialdemokratische Wählerschaft
sich zu einem erheblichen Prozentsatz aus Jungwählern zusammengesetzt,
die mit Verheiratung und kirchlicher Trauung zum Teil wieder zur Kirche
zurückkehrten57. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise strömten in allen Orten
vor allem Jugendliche und Arbeitslose zum Kommunismus, so daß die ehe¬
mals sozialdemokratischen Wählerstimmen in den katholischen Gebieten
fast ausschließlich den Kommunisten zufielen.
Der Kommunismus an der Saar war primär eine lokale Angelegenheit58. Er
konnte in wenigen Jahren auf Grund der Erbitterung der Arbeiterschaft
wegen der bestehenden Wirtschafts- und Sozialverhältnisse an Boden ge¬
winnen. Die Schwierigkeiten der Saarwirtschaft in Kohle- und Stahlabsatz
bereits vor der Weltwirtschaftskrise und die ständige Erregung über die
mangelnde Angleichung an das deutsche Sozial- und Arbeitsrecht schufen
ein Klima, in dem Radikalismus gedieh59. Da die begrenzten Einflußmög¬
lichkeiten des saarländischen Landesrats während der Weltwirtschaftskrise
in der Diskrepanz zwischen den umfänglichen Forderungen der Parteien zur
Behebung der Not und der nur geringen Erfüllung oder Erfüllungsmöglich¬
keit durch die Regierungskommission erneut in eine besonders scharfe Be¬
leuchtung gerieten, sah die Arbeiterschaft in der Hinwendung zu unparla¬
mentarischen und undemokratischen Demonstrationen und Agitationen
einen Ausweg. Dem Kampf des Kommunismus gegen das parlamentarische
System in der Weimarer Republik konnte an der Saar durch die Erfahrun¬
gen mit dem „Schattenparlament"60 nicht wirkungsvoll widersprochen
werden.
Das lokale Gepräge des Kommunismus an der Saar zeigte sich auch bei
Streitigkeiten und Spaltungen in der Partei. Es kam bei solchen Gelegen¬
heiten zu Prügelszenen, gegenseitigen Beschuldigungen in Landesrat, Ge¬
meindeparlamenten und öffentlichen Versammlungen61. Obwohl die Spal¬
tungen mit den innerdeutschen Auseinandersetzungen im Kommunismus
zusammenhingen, entbehrten sie im Saargebiet jeder ideologischen Kompo¬
nente. Anführer der Opposition war stets der Ludweiler Kommunist Rein¬
hard, der sich der Moskauer Linie nicht beugte. Trotz dieser Scheidung in
56 Vgl. oben S. 180 ff.
57 So auch Lambert, a. a. O., S. 228.
58 So auch Lambert, a. a. O., S. 106 „What the Communism there was, was a local
product; the red tradition of the Ruhr did not exist in the Saar.“
59 Straus, a. a. O., S. 122f., macht auch die besonderen wirtschaftlichen Verhältnisse
für das Wachsen des Radikalismus verantwortlich.
60 Den Begriff des „Shadow-Parliament“ prägte Donald, a. a. O., S. 51; vgl. auch
Katsch, a. a. O., S. 48.
61 Vgl. dazu: Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 7. 1. 1925, S. 2f.; Volksstimme Nr. 6
v. 8. 1. 1925 „Soziale Vorlagen vor dem Landesrat“ u. „Schwindeleien des Kommu-
nisten-Blättchens“; Neuer Saarkurier Nr. 2 v. 3. 1. 1925 „Kommunisten unter sich“;
Volksstimme Nr. 223 v. 24. 9. 1927 „Der Sumpf der Saar-KPD“; Volksstimme Nr, 3 v.
5. 1. 1925 „Der Klassenkampf im Saarkommunismus“.
199