Grundzüge der Stellungnahme der Parteivertreter heraus. Zunächst stimm¬
ten alle Parteivertreter, einschließlich der Kommunisten, materiellen Ver¬
besserungen im Versicherungs- und Versorgungswesen immer zu79. Vielfach
wurden in der Landesratssitzung bei solchen Gelegenheiten gegenüber dem
Regierungsentwurf Anträge auf Erhöhung gestellt80. Überdies wurden auch
wiederholt strukturelle Umänderungen und Erweiterungen der Regierungs¬
vorlage verlangt81. Ähnlich hatte man sich auch in der Frage der Kriegs¬
beschädigten verhalten, als man zwar die Regierungsvorlage bejahte, aber
der Regierung auf Grund der Eingaben der Kriegsbeschädigtenverbände für
die Zukunft weitere Forderungen und Vorschläge einreichte, die vom Lan¬
desrat auch als Anregung für die Gesetzgebung des Deutschen Reiches aufge¬
faßt wurden82. Außerdem wurde die Diskussion der Verordnungsentwürfe
wiederholt dazu benutzt, sämtliche arbeitsrechtlichen und sozialpolitischen
Wünsche anzumelden83 und zu ihrer Verwirklichung entsprechende Ma߬
nahmen von der Regierungskommission zu fordern, besonders Verhand¬
lungen mit dem Deutschen Reich zum Rückanschluß der saarländischen Ver¬
sicherungen 84.
In diesen Diskussionen und in der saarländischen Öffentlichkeit erschienen
die Maßnahmen der Regierungskommission angesichts der erhobenen Forde¬
rungen immer nur als Stückwerk. Der Landesrat begriff sich als Wächter der
im Friedensvertrag garantierten Rechte der Bevölkerung und als Initiator
für eine Ausgestaltung der Gesetzgebung nach deutschem Vorbild. Aus dieser
Haltung entschlossen sich die Parteien und die Gewerkschaften, den uner¬
füllten Wünschen durch die Anrufung des Rates des Völkerbundes größeren
Nachdruck zu verleihen. Am 5. September 1925 wurden eine gemeinsame
Denkschrift der Zentrumspartei und der Deutsch-Saarländischen Volks¬
partei und eine Denkschrift der Gewerkschaften an den Rat des Völker¬
bundes gesandt85 und von der saarländischen Delegation im September bei
einzelnen Ratsmitgliedern dargelegt. In diesen Memoranden waren die
Unterschiede in den Versicherungsleistungen zwischen Deutschland und dem
Saargebiet an Hand von statistischem Material aufgezeigt, und für die
79 Vgl. die Quellenangaben in Anm. 70.
80 Z. B.: Landesrat des Saargeb., Sten. Bericht v. 27. 6. 1924, S. 25; Einstimmige An¬
nahme eines Antrags der Kommunisten: „Allen Kriegsopfern sind aus der Landes¬
kasse des Saargebietes auf die in der Novelle vorgesehenen Bezüge 50 %> Erhöhung
zu gewähren.“ Sten. Bericht v. 31. 3. 1925: Einstimmige Annahme des sozialdemo¬
kratischen Antrags, die Drittelungsgrenze in der Unfallversicherung auf 7000 Frs.
heraufzusetzen.
81 Vgl. die Forderungen des Landesrates über die Arbeitskammer und über die Knapp¬
schaftsversicherungen.
82 Landesrat des Saargeb., Sten. Ber. v. 27. 6. 1924, S. 17, S. 25, S. 30 f., und S.D.N.
J.O. V,9 (1924), S. 1194.
83 Ebenda: Sten. Ber. v. 5. 3. 1924, S. 7 u. 10; v. 16. 3. 1925, S. 13 ff.
84 Ebenda: Sten. Ber. v. 13. 2. 1925, S. 5f.; v. 5. 8. 1925, S. 4, S. 17 f.
85 S.D.N. C. 605. M. 193. 1925. I.: Hier beide Denkschriften. Die Zentrumspartei und
die Deutsch-Saarländische Volkspartei hatten eine selbständige Denkschrift verfaßt,
weil die Sozialisten aus dem interparteilichen Ausschuß ausgetreten waren. Beide
Parteien, insbesondere die Röchlingpartei, hatten ein Interesse daran, gerade jetzt als
sozial fortschrittlich zu erscheinen. Die folgenden Ausführungen stützen sich auf
diese Denkschriften.
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