192042 die Aufrechterhaltung der Schlichtungsausschüsse, die auf Grund des
Hilfsdienstgesetzes vom 5. Dezember 1916 errichtet worden waren. In dem
Vorspann zu dieser Verordnung war darauf hingewiesen, daß das deutsche
Gesetz vom 23. Dezember 1918 über Tarifverträge, Arbeiter- und Ange¬
stelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten im Saargebiet
nicht gültig sei; die Aufrechterhaltung der Schlichtungsausschüsse war als
eine gewisse Ersatzlösung für dieses Gesetz gedacht. Auf Wunsch der Ge¬
werkschaften führte die Regierungskommission das deutsche Gesetz vom
29. Oktober 1920 über die Änderung der Gewerbegerichte im Saargebiet
ein43. Mit dieser Entwicklung waren die Parteien und Gewerkschaften nicht
zufrieden. Sie hatten seit 1920 wiederholt in Verhandlungen mit der Re¬
gierungskommission, in Denkschriften nach Genf und Erklärungen im
Landesrat die Einführung der gesamten arbeitsrechtlichen Gesetzgebung der
Weimarer Republik im Saargebiet gefordert44.
Eine neue Phase der Entwicklung trat ein, als während des Streiks des
Jahres 1923 die Gegensätze zwischen Bergarbeiterschaft und französischer
Grubenverwaltung und auch die Erbitterung über die Haltung der Regie¬
rungskommission wuchsen. Die Gewerkschaften und die Parteien entfalte¬
ten nun in den Fragen des Arbeitsrechtes und des Versicherungsrechtes neue
Aktivität. Bereits am 9. April wandten sich die Gewerkschaften beschwerde¬
führend über die Wohnungsmaßnahmen der Grubenverwaltung an den Rat
des Völkerbundes45. Die Verordnung Raults vom 2. Mai 1923, die das
Streikpostenstehen verbot, wurde als entscheidender Eingriff in das be¬
stehende Arbeitsrecht angesehen und rief den einmütigen Protest des Landes¬
rates in der Sitzung vom 14. Mai 1923 hervor46, der in der Denkschrift an
den Völkerbundsrat vom 22. Mai 1923 niedergelegt wurde47. In der großen
Anklageschrift gegen die Regierungskommission vom 2. Juni 1923 „Der
Geist des Saarstatuts und die Praxis der Regierungskommission“ wurden
die Einführung des Schlichtungswesens und der Arbeitskammer verlangt und
über die Stagnation des Arbeitsrechts und der Sozialgesetzgebung geklagt48.
In derselben Zeit verschärften sich die Gegensätze in den Knappschafts¬
vereinen zwischen den Knappschaftsältesten und den französischen Arbeit¬
gebern. Die Knappschaftspensionen lagen prozentual zum Lohn wesentlich
unter den Vorkriegsleistungen, und die Arbeitnehmer forderten eine Er¬
höhung der Grundpensionen durch Beitragserhöhung. Die Franzosen wei¬
gerten sich mit Hinweis auf die Arbeitsverhältnisse in Frankreich, die
42 Amtsblatt der Reg.-Kom. 1920, Nr. 40; S.D.N. J.O. 1,5 (1920), S. 277.
«3 S.D.N. J.O. 11,5/6 (1921), S. 631.
44 Z. B.: S.Z. Nr. 67 v. 19. 3. 1921: „Präsident Rault zu wichtigen Fragen der Saar¬
bevölkerung“; S.L.Z. Nr. 2 v. 3. 1. 1922: „Die arbeitsreditlidie und sozialpolitische
Stellung der Hütten- und Metallarbeiterschaft des Saargebietes“; S.D.N. C. 11. M. 40.
1922. I. Beschluß des Kreisrates Saarbrücken-Land v. 19. 11. 1921; S.D.N. C. 412.
M. 290. 1921. I.; Landesrat des Saargeb., Sten. Ber. v. 19. 7. 1922, S. 30 ff., als An¬
lage 5, unten S. 338 ff.
45 S.D.N. C. 331. M. 156. 1923. I.; vgl. auch oben S. 74.
46 Landesrat des Saargeb., Sten. Ber. v. 14. 5. 1923, S. 2 ff.
42 S.D.N. C. 434. M. 190. 1923.1.
48 Ebenda, C 395. M. 185. 1923. I.
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