Full text: Interkommunale Zusammenarbeit im Saar-Lor-Lux-Raum

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körperschaften geführt. Zuvor war die von Paris ausgehende staatliche Kontrolle (tutelle administrati¬ 
ve) derart stark, daß beispielsweise eine Gemeinde in allen ihren Angelegenheiten eine Vorabgenehmi¬ 
gung beim Präfekten einholen mußte (BRÜCHER 1992:41; ALBRECHT 1995a:44). Die sogenannten 
„Märzgesetze“ aus dem Jahre 1982 hatten unter anderem eine Neugliederung der staatlichen Verwal¬ 
tung, die Einführung der neuen Gebietskörperschaft Région sowie die Neuverteilung der Zuständigkei¬ 
ten zum Inhalt. 
Neben den Gemeinden und den seit 1871 als Gebietskörperschaften anerkannten Départements (seit 
1836 gewählte Generalräte, „conseils généraux“) existieren im europäischen37 Frankreich fortan 22 
Regionen (entsprechen etwa den 1955/56 geschaffenen Programmregionen) als rechtlich vollwertige 
Gebietskörperschaften mit einem direkt gewählten Regionalrat (conseil régional). Den Präsidenten der 
Regionalräte und den Präsidenten der Generalräte wurden im Zuge der Dezentralisierung Exekutivrechte 
für bestimmte Zuständigkeitsbereiche übertragen. Diese oblagen bis dato den Präfekten als „Antennen“ 
der direkten zentralen Staatsaufsicht. Der Staat kann nunmehr lediglich a posteriori die Legalität der 
Aktivitäten der Gebietskörperschaften sowie die ordnungsgemäße Führung ihrer Budgets prüfen. Hier¬ 
für zuständig sind Verwaltungsrichter {Juges Administratifs) bzw. die regionalen Rechnungshöfe 
(iChambres Régionales des Comptes), also nicht mehr der Präfekt selbst. Letzterem wurden im Gegen¬ 
zug Kompetenzen des Staates anvertraut, die bisher die Zentralregierung wahrgenommen hatte und in¬ 
nerhalb derer dem Präfekten nur eine koordinierende Rolle zugekommen war: „[La loi] confère au Préfet 
une autorité accrue sur les services de l'Etat qu'il est conduit à ‘diriger’ et non plus à ‘coordonner’“ 
(CHABAN-DELMAS 1995:91). Auf die tatsächlichen Erfolge bzw. Mißerfolge der Dezentralisierung 
bzw. der Dekonzentration, wie Kritiker die Bedeutung der Reformen relativieren, kann an dieser Stelle 
nicht weiter eingegangen werden. Es sei daher auf die Arbeiten von BRÜCHER (1992) und HALMES 
(1984) verwiesen, die sich kritisch mit diesen Reformen auseinandersetzen. 
Zu beachten ist, daß die drei Ebenen Gemeinde-Département-Region nicht hierarchisch aufeinander 
aufbauen, sondern jeweils von Paris mit klar voneinander abgegrenzten Kompetenzbereichen betraut 
worden sind. Als anschauliches Beispiel für diese Struktur kann das Schulwesen dienen: Die Dezentra¬ 
lisierungsgesetze übertrugen diesbezügliche Verwaltungs- und Planungsaufgaben an die Gebietskörper¬ 
schaften dergestalt, daß die Regionen für die Gymnasien, die Departements für die Realschulen (Ecoles 
secondaires) und die Gemeinden für Vor- und Grundschulen zuständig sind. 
Mit 36760 Gemeinden hat Frankreich mehr Kommunen als jeder andere EU-Mitgliedstaat. 90 % der 
Gemeinden zählen weniger als 2.000 Einwohner, gut drei Viertel gar weniger als 1.000, und nur 2 % 
erreichen mehr als 10.000 Einwohner. Der Zuschnitt der französischen Gemeinden kann gleichsam als 
Reichtum wie als Entwicklungshemmnis ausgelegt werden: Als kultureller Reichtum im Sinne einer 
starken lokalen Identität und eines (scheinbar) basisdemokratischen Staatsaufbaus, während die be¬ 
scheidenen finanziellen und personellen Möglichkeiten der Klein- und Kleinstgemeinden eine Eigenent¬ 
wicklung sowie eine kohärente Raumgestaltung weitestgehend verhindern (s.u.). RAYMOND (1991:34) 
formuliert diesen Umstand wie folgt: „L'existence de 500 000 élus locaux est peut-être une pierre angu¬ 
laire de notre édifice démocratique. Mais le morcellement rend impossible la gestion autonome de nom¬ 
bre de communes, dépossédant les élus de tout pouvoir réel. La démocratie n'est pas forcément là où on 
l'attend“. 
Die Diskussion um eine Gebiets- und Verwaltungsreform nach deutschem oder belgischem Vorbild 
zur Verringerung der Gemeindezahl und zur funktionalen (und politischen) Stärkung dieser Gebietskör¬ 
perschaften wird in Frankreich wohl auf ewig Streitthema bleiben („l'impossible fusion“). Besitz¬ 
standsdenken von Bürgermeistern und Gemeinderäten, politische Rivalitäten und Ressentiments üeßen 
bisher jeden Versuch scheitern, die Zahl der Gemeinden durch Zusammenschlüsse deutlich zu verrin¬ 
gern. Als letzte fehlgeschlagene Maßnahme gilt ein Gesetz aus dem Jahre 197138, das 3.500 Fusionen 
ohne Départements d'Outre-Mer/Territoires d'Outre-Mer (DOM/TOM) 
Loi du 16 juillet 1971 sur les fusions et regroupements de communes 
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