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Doch diese Ordnung konnte nach Ansicht der Zunft¬
meister die Zunftverfassung nicht ersetzen. Trauer und Weh¬
mut ergriff ihre Herzen beim Gedanken an die einstige Zunft¬
herrlichkeit. Diese Wehmut spricht auch aus dem Schlusswort
des Fassbenderzunftbuches, wo es heisst:275) „So und nicht
weiter gehet die Alte Geschichte; es ist wahr Sie hatte sehr
viel Guthes und Höchst lobenswerthes; auch viel nicht mehr
pasendes, das hätte mann aus Fegen sollen, allein sie haben
das Kind mit dem Baad, ausgeschittet.“
Selbst in Gedichten wurde die gute alte Zeit verherr¬
licht und über die neuen Wirtschaftsverhältnisse geklagt. So
singt ein alter Mainzer Lauerkarcher und Leinerireiter:270)
Was nützt die alt Gerechtsamkeit —
Uns jetzt im Karcher-Leben,
Für die wir mussten seiner Zeit,
So schwere Summen geben,
Das eingeführt’ Patentsystem —
Mit gross und kleinem Titel, —
Es macht die Pfuscherei bequem
Und dient zum Zweck als Mittel.
Auf eines Andern Namen treibt,
Manch’ Fremder da Geschäfte,
Wo dann getheilt der yortheil bleibt —
Stört Andrer Nahrungskräfte;
So geht es häufig in der Stadt,
Auch gibt es oft die Fälle,
Dass Mangel man an Wohnung hat.
Und für die Gäul nicht Ställe. —
Doch der Mainzer wusste sich zu trösten, und so fährt
er fort:
Kein Wunder ist’s, man kommt in Zorn,
Dass man vor Wuth fast weine, —
Geht in den Pfälzer-Hof, zum Horn,
Oder nach dem Schiefersteine,
Zum Bären, Wolf, der Ludwigsbahn,
Sich einen Zopf zu holen,
Gar manchmal hab’ ich’s schon gethan,
Sag’ es ganz unverholen.
275) M St. 21/172 S. 135.
27°) Wendelin Weiler: Klagelied eines alten Mainzer Lauerkarchers.