ERSTER ABSCHNITT
DIE LEHRE VOM URTEIL
ERSTES KAPITEL
VORBEREITENDES
1. Das Urteil und der Satz
Urteile kommen gewöhnlich in bestimmten sprachlichen Sätzen zum Aus¬
druck. In der Sprachlehre unterscheidet man im allgemeinen vier Arten von
Sätzen, nämlich: 1. die Aussage- oder Behauptungssätze, 2. die Fragesätze,
3. die Wunschsätze und 4. die Befehlssätze. Diese verschiedenen Satzarten
unterscheiden sich im allgemeinen schon als rein sprachliche Gebilde, noch
abgesehen von den Gedanken, die mit ihnen verbunden werden. Im normalen
Gebrauch dieser verschiedenen Satzarten sind es auch verschiedene Ge¬
dankenarten, die in ihnen ausgedrückt werden. Nach diesen verschiedenen
Gedankenarten sind eben die sprachlichen Sätze verschieden benannt. Der
Normalsinn eines Behauptungssatzes ist eine Behauptung, der eines Frage¬
satzes eine Frage, der eines Wunschsatzes ein Wunsch, und der eines Befehls¬
satzes ein Befehl. Trotzdem können die betreffenden Satzarten in anomaler
Funktion auch andere als die ihren Normalsinn ausmachenden Gedanken
zum Ausdruck bringen. Es sei dies kurz verdeutlicht.
Der Satz: »Sie gehen nach Amerika?« ist der sprachlichen Form nach ein
Aussage- oder Behauptungssatz. Er gibt aber hier einer Frage Ausdruck.
In der Form eines Behauptungssatzes wird dagegen ein Wunsch zum Aus¬
druck gebracht in dem Satz: »Du gehst zum Teufel!«
Ein Befehl dagegen wird gegeben in dem Behauptungssatz: »Sie bringen
den Koffer auf Zimmer 9.«
Wie hier die Behauptungssätze, so können auch die Fragesätze anomal
funktionieren und Behauptungen, Wünsche oder Befehle ausdrücken. So