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Einleitung
standsgebiete dar. Außerdem sind aber auch alle irrealen, die ideellen sowohl
wie die fiktiven, Gegenstände der Beziehung im denkenden Vollziehen von
Gedanken zugänglich. Es gibt also prinzipiell überhaupt nichts, was nicht
irgendwie Gegenstand eines Denkens oder eines Gedankens werden könnte.
Während nun das Denken und die Gedanken nie ohne einen Gegenstand
sein können, auf den sie sich beziehen, so sind die Gegenstände an sich durch¬
aus nicht notwendig auf irgendein Denken oder irgendwelche Gedanken
angewiesen. Sie werden durch das sie bezielende Denken in ihrem Bestände
gar nicht affiziert oder beeinflußt. Irgendein Gegenstand läßt auch nicht
nur diese oder jene auf ihn bezüglichen Gedanken zu, sondern er kann der
Gegenstand unbeschränkt vieler Gedanken sein. So können sich z. B. auf
einen Menschen nicht nur alle möglichen Meinungen, Behauptungen, Er¬
kenntnisse, Schlüsse und Beweise beziehen, sondern es können auch alle
möglichen Wertungen, Würdigungen, Kritiken, Lobsprüche, Tadel, Vor¬
würfe, Anklagen auf ihn hinzielen. Er kann ferner der Gegenstand bestimm¬
ter Wünsche, Hoffnungen oder Befürchtungen sein. Man kann Bitten,
Ratschläge, Mahnungen und Warnungen an ihn richten; man kann in bezug
auf ihn bestimmte Absichten und Vorsätze hegen, Entschlüsse und Beschlüsse
fassen. Schließlich kann man an ihn bestimmte Aufforderungen, Gebote
oder Verbote und Befehle adressieren. So kann sich überhaupt auf jeden
beliebigen Gegenstand eine zahllose Menge von Gedanken wie ein Mücken-
schwärm niederlassen, ohne daß jedoch der Gegenstand davon irgendwie
tangiert zu werden braucht.
Die Verschiedenheit und die relative Unabhängigkeit der Gegenstände
von den Gedanken zeigt sich auch darin, daß die Gedanken, die sich auf einen
Gegenstand beziehen, sich verändern können, ohne daß der Gegenstand eine
Veränderung zu erleiden braucht. So kann man zu anderen Wertmeinungen
über einen Menschen gelangen, ohne daß sich dieser Mensch, tatsächlich oder
auch nur in der Meinung, irgendwie geändert hätte. Andererseits können
sich die von den Gedanken betroffenen Gegenstände tatsächlich und auch in
der Meinung ändern, ohne daß sich bestimmte, auf sie bezogene, Gedanken
zugleich zu ändern brauchten. Die Beziehung der Gedanken auf ihre Gegen¬
stände ist eben eine intentionale, eine bloße Bezielung, keine reale »Be¬
rührung«.
Die Gegenstände, auf die sich die Gedanken beziehen, liegen außerdem
immer jenseits der Gedanken, sind ihnen immer transzendent. Auch da, wo
irgendwelche, dem Bewußtsein immanente Gegenstände, wo also etwa das
eigene Denken und die eigenen Gedanken zu Gegenständen neuer, anderer