3. Haupttypen der Einwände
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Durch die Aufdeckung und Schilderung dieser persönlich-sub¬
jektiven Grundlagen der Metaphysik, die zutiefst in der Unvergleich-
lichkeit eines bestimmten Ur- und Grunderlebnisses ihre Wurzel und
ihre nährende Quelle haben, glaubt Dilthey, nicht bloß den Geltungs-
umfang der Metaphysik einschränkend bestimmt, sondern ihr zu¬
gleich die ausreichende und die ihr gemäße Rechtfertigung erwiesen
zu haben. ,,Die wahren Metaphysiker haben gelebt, was sie schrieben.
Descartes, Spinoza, Hobbes, Leäbniz sind von neueren Geschichts¬
schreibern der Philosophie immer mehr als zentrale Individualitäten
aufgefaßt worden, in deren weiter Seele eine Lage der wissenschaft¬
lichen Gedanken sich auf relative Weise abspiegelt. Ebendieser
ihr repräsentativer Charakter beweist die Relativität des Wahrheits¬
gehaltes in ihren Systemen.“
Doch auch diese Rechtfertigung und ihre Ehrenrettung müssen mit
dem Zusatz versehen werden, daß sie nur als eine relative anzusehen
sind. Die Ableitung der Metaphysik aus der Kraft besonderer Er¬
lebnisse und die ihr dadurch zuteil werdende psychologische Be¬
leuchtung können ihren Verfall nicht aufhalten. So weit geht Diltheys
Skepsis und seine Überzeugung, daß die Zeitalter der Metaphysik
und die Teilnahme für sie endgültig verstrichen seien. Er versteht
und würdigt sie als das Spiegelbild einer bestimmten subjektiven
Geistesverfassung und einer geschichtlichen Zeitepoche, die jedoch
in unaufhaltsamem Hinschwinden begriffen seien. Auch die soeben
hervorgehobene „Funktion der metaphysischen Systeme in der
modernen Gesellschaft kann nur vorübergehend sein. Denn diese
schimmernden Zauberschlösser der wissenschaftlichen Einbildungs¬
kraft können, nachdem die Relativität ihres Wahrheitsgehaltes er¬
kannt ist, das ernüchterte Auge nicht mehr täuschen. Und gleichviel
wie lange noch ein Einfluß auf die Kreise der Gebildeten von meta¬
physischen Systemen geübt werden mag, die Möglichkeit, daß ein
solches System von relativer Wahrheit, das neben vielen anderen von
demselben Wahrheitsgehalt steht, als Grundlage für die Wissen¬
schaft benutzt werde, ist unwiederbringlich dahin“.
Wodurch erfolgt nun diese Zersetzung der Metaphysik mittels
der modernen Wissenschaften? Werfen wir jetzt zunächst nur noch
einen kurzen Blick auf die Unterwühlung der Metaphysik durch die
Naturwissenschaften.
Die dogmatische Spekulation der substantialen Formen wird
überwunden durch den Gedanken der Unterordnung der Bewegungen
unter mathematische Prinzipien und damit unter die mathematische