Full text: Grundlegung der Dialektik

3. Haupttypen der Einwände 69 
ten beruhende Entwicklung der ganzen letzten Jahrhunderte glatt 
widerlegt. 
Zu den Hauptleistungen dieser Entwicklung rechnete er die Auf¬ 
lösung der Metaphysik, die die Tat der modernen positiven Wissen¬ 
schaften sei. In dieser Tat gelange eine neue Freiheit des Geistes 
zum Durchbruch, verwirkliche sich die Tilgung derjenigen Ab¬ 
hängigkeit, in der der mittelalterliche Mensch durch Autoritäts¬ 
gefühl und Traditionsgebundenheit stand. Der begriffliche Aus¬ 
druck dieser geistigen Unselbständigkeit und Unfreiheit war die 
mittelalterliche Metaphysik. In demselben Geiste, nach dem für 
jene Zeiten die Wirklichkeit ein durch die Allmacht und Autorität 
Gottes in absoluter Form geschaffenes, unerschütterliches System 
unveränderlicher „Wesenheiten“, eine ewige substantielle Einheit 
darstellt, konstruiert und erfaßt auch die Metaphysik, die von jenen 
Zeiten hervorgebracht worden ist, das Sein als einen Inbegriff ewiger, 
durch Gottes Willen gesetzter Formen (formae substantiales). Hier 
wie dort wird alles stabil, alles statisch, autoritativ, dogmatisch 
gedacht. Und das ist der Natur des mittelalterlichen Geistes gemäß. 
Wie sich aber seit der Renaissance und durch sie eine allmähliche 
und unaufhaltsame Befreiung des Individuums von den Fesseln der 
Kirche und des Dogmas vollzieht, so entwindet sich die neue Wissen¬ 
schaft auch der Hörigkeit, unter der das Denken jahrhundertelang 
gestanden hat. Statt der vorgeschriebenen Marschroute, die nur 
der Festigung der kirchlichen Lehrmeinungen gedient hat, statt der 
Unterstellung der Forschung unter die Theologie, bricht jetzt eine 
objektive und eine positive, auf die empirischen Tatsachen selbst 
unbefangen eingestellte Wissenschaft durch, während ehedem die 
Erkenntnis der Phänomene mit metaphysisch-religiösen Absichten 
verquickt war und statt der kausal gerichteten Erforschung der 
Erscheinungen die Bemühung um ihre metaphysische Ableitung aus 
dem Geheimnis der göttlichen Substanz vorherrschte. Tatsächlich 
war durch diese Form der Ableitung nichts abgeleitet, tatsächlich 
durch die syllogistische Beweisführung nichts bewiesen worden; denn 
diese ganze Deduktion trägt, wie bereits Wilhelm von Occam ge¬ 
zeigt habe, nur den Charakter einer Wortbeweisführung. 
Indem die leere Begrifflichkeit der dogmatisch-rationalistischen 
Metaphysik offenbar wird, setzt die moderne Wissenschaft mit dem 
Versuche ein, an die Stelle der Errichtung eines Zusammenhanges 
von bloßen Worten, die zu keiner wirklichen Erkenntnis führte, 
eine objektive Erfassung der tatsächlichen Wirkungszusammen¬
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.