Dialektik und Leben
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hören zu den apriorischen Bedingungen alles geschicht¬
lichen Daseins, das niemals den Wertcharakter des ,,Geschicht¬
lichen“ besitzt, wenn es nur „da ist“. Es ist die Ur-Antinomie seines
Da-Seins, in keiner Betätigungsrichtung und in keiner Ereignisgestalt
nur „da zu sein“. Ein solches bloßes Da-Sein, das in der Kausalität
seines Seins und Werdens restlos beharrt, eignet der „Natur“, nie
aber der „Geschichte“. Schon an diesem Punkte, allerdings einem
Hauptpunkte, ist der abgrundtiefe Gegensatz zwischen „Natur“ und
„Geschichte“ mit Händen zu greifen. Die „Natur“ bleibt innerhalb
der logischen und mathematischen Gesetzlichkeit ihres Seins und
ihrer Abläufe; sie erschöpft sich in ihr. Es hat keinen klar und metho¬
disch angebbaren Sinn, ein Hinaus über diese Bindungen zu er¬
fragen oder zu erwarten oder zu fordern. Und deshalb hat es auch
keinen Sinn, von einem „Sinn“ der Natur zu sprechen, solange ihr
gegenüber der wissenschaftliche Gesichtspunkt eingenommen und
gewahrt wird. Betrachten wir sie aber mit den Augen z. B. des
Pantheisten oder überhaupt mit irgendeinem künstlerisch und
religiös gefärbten Blick, so verwischen wir den Begriff der Natur
zugunsten einer persönlichen Stellungnahme, Auffassungsweise,.
Liebhaberei, Deutung.
Völlig anders steht die Sache in bezug auf das geschichtliche
Leben und in bezug auf die Notwendigkeit einer Sinn-Annahme
und Sinn-Forderung ihm gegenüber. In dieser Sinn-Annahme und
Sinn-Forderung ruht die Annahme und Forderung der Anti¬
nomie, der Dialektik der Geschichte zu sich selber!
Denn ist es nicht der Hauptwesenszug dieses geschichtlichen Lebens,
daß sein empirisches Sein, daß seine historische Tatsächlichkeit
immer in Verbindung steht mit einem metaphysischen Ziel, das
niemals im Rahmen der geschichtlichen Entwicklungen erreicht, ja,,
von den empirisch-geschichtlichen Bedingungen und Lagen aus nie¬
mals verstanden werden kann? Ist es nicht ein besonderer und hin¬
länglich nachdrücklicher Beleg für seine unaufhebbare Dialektik
und Paradoxie, daß dieses machtvolle, dieses wilde, in tausend
Strömungen und Durchkreuzungen dahinschießende, in launen¬
hafter Eigenmächtigkeit und Unberechenbarkeit sich gefallende
Leben trotzdem dem Zwang zur Verantwortlichkeit vor einer höheren,
ihm überlegenen Instanz unterstellt wird, daß wir, die wir doch an¬
geblich seine Geschöpfe sind, zu Richtern über es werden, ihm mit
Tafeln voll von Geboten entgegentreten? Wonach richtet sich das
geschichtliche Leben? Nach den Gesetzen des Seins, nach denjenigen