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Einleitung
Schichtsphilosophie darum schlechthin unentbehrlich, weil sie der
letzteren das Material für die Entwicklung einer Weltanschauung
und Metaphysik zur Verfügung stellen. Aber sie liefern für die
Geschichtsphilosophie ein Material noch nach einer anderen Rich¬
tung. Nicht nur das, was von ihnen in inhaltlicher Beziehung ge¬
boten wird, wenn sie uns eine Erkenntnis der geschichtlichen Wirk¬
lichkeit schenken, bildet ein Material für die Geschichtsphilosophie,
sie sind für dieselbe auch insofern ein unentbehrlicher Gegenstand,
als an ihnen und für sie die Philosophie ihre erkenntnis¬
theoretische Aufgabe zu erfüllen hat. Indem die Philosophie
die Erledigung dieser Pflicht übernimmt, klärt sie die konkreten
Geisteswissenschaften weniger über das auf, was diese Wissenschaften
uns in inhaltlicher Hinsicht über die „historische Wirklichkeit“ zu
erkennen geben, sondern sie klärt sie über die formalen und methodi¬
schen Bedingungen auf, mittels deren sie, diese Geisteswissen¬
schaften, eine Erkenntnis dieser geschichtlichen Wirklichkeit er¬
arbeiten.
Wir stehen damit vor der Aufgabe, die man als „Grundlegung“
der historischen Wissenschaften, als „Kritik der historischen Ver¬
nunft“, als „Transzendentallogik der Erkenntnis der Kultur“, mit
der besten Formulierung wohl als „Kategorienlehre der historischen
Wahrheit“ bezeichnet hat. Die reiche Ausbildung der Geistes¬
wissenschaften ebenso wie die der Philosophie seit den Tagen Platos ur¬
eigene, z. B. in dem Dialog „Theaitetos“, ausdrücklich formulierte
erkenntnistheoretische Aufgabe weisen zur Übernahme dieser Arbeit
hin, in deren Mitte wir uns jetzt befinden. Welch ein reiches For¬
schungsgebiet hat sich in dieser Beziehung vor der Geschichts¬
philosophie aufgetan. Soweit ich sehe, ist das Thema einer solchen
Erkenntnistheorie zuerst durch die spekulative Geschichtsphilo¬
sophie angeschlagen worden. Emil Lask hat in einer scharfsinnigen
Untersuchung in Fichte denjenigen Denker entdecken wollen, der
dieses Thema sich gestellt habe. Ferner finden sich bereits bei Hegel,
wie sich unschwer zeigen ließe, weitgediehene Ansätze zu einer
Kritik der historischen Wissenschaften. Doch bei beiden Denkern
scheint mir die materiale Geschichtsphilosophie noch nicht streng
genug von der formalen Geschichtsmethodologie abgelöst zu sein.
Kein Zweifel, daß diese beiden Grunddisziplinen des Systems der
Geschichtsphilosophie wechselseitig aufeinander bezogen sind und
zusammengehören. Aber um die Kraft und den Charakter der
zwischen ihnen hin- und herlaufenden Fäden ermessen und um ihre