Full text: Grundlegung der Dialektik

2. Die dialektische Geschichtsphilosophie 
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ihre Berücksichtigung durch die Philosophie nicht bloß als nahe¬ 
liegend, sondern geradezu als ein Gebot erscheinen läßt. Die Folge 
einer solchen Beachtung sowohl des Geistes, aus dem heraus die 
Methoden dieser Wissenschaften erwachsen, als auch ihrer inhalt¬ 
lichen Ergebnisse wird die Gewinnung einer Geschichtsphilosophie 
sein, die bei aller Verwandtschaft mit der spekulativen Geschichtsmeta¬ 
physik des deutschen Idealismus doch von derselben in mehr als einer 
Richtung abweicht. Alois Riehl hat einmal den treffenden Ausspruch 
getan, daß sich die Wissenschaften wandeln, und daß sich mit ihnen 
auch die Philosophie wandelt. Wie reich ist besonders die Entwicklung 
auf dem Gebiete der Geisteswissenschaften, und wie anders muß dem¬ 
nach eine Geschichtsphilosophie aussehen, die diese Entwicklung in 
Rechnung zieht und deshalb von der alten Spekulation abweicht. 
Die Tatsache und die Forderung einer solchen Beziehung zwischen 
Philosophie und historischen Wissenschaften sind also an sich nicht 
neu. Wir betrachten die spekulative Geschichtsphilosophie in 
mancher Hinsicht als Vorgängerin und in gewissem Sinne auch 
als Vorbild. Denn sowohl Fichte als besonders Hegel haben ihre 
Philosophie der Geschichte unter Zugrundelegung und intensiver 
Heranziehung ihrer geschichtlichen Studien aufgebaut. Zwar pflegt 
der Umfang dieser Studien nicht selten unterschätzt zu werden. 
Das Maß der historischen Bildung und die Kraft des geschichtlichen 
Bewußtseins jener Denker sind jedoch nicht gering zu veranschlagen. 
Es ist keineswegs so, daß sie sich in einseitiger Weise und in einem 
blinden Draufgängertum der Verlockung durch apriorische Kon¬ 
struktionen ausschließlich hingegeben hätten und für den Stoff der 
Geschichte im wesentlichen voller Geringschätzung gewesen seien. 
Aber als Philosophen, als Metaphysiker hatten sie natürlich zu 
diesem Stoff ein anderes Verhältnis als der Historiker. Wir können 
nicht umhin, das Recht zu zwei selbständigen Auffassungen und 
Behandlungsarten dieses Stoffes anzuerkennen. Die Art dieser Be¬ 
trachtungsformen bildet begreiflicherweise einen Gegenstand in dem 
betreffenden Kapitel des zweiten Bandes. In dieser „Einleitung“ 
wollen wir nur allgemein darauf hinweisen, daß wir dem Vorbild 
jener konstruktiven Geschichtsphilosophen insofern folgen, als wir 
gleich ihnen den Mut zu einer metaphysischen Deutung der geschicht¬ 
lichen Wirklichkeit aufbringen möchten. — 
Die Zeiten, die zwischen der Gegenwart und jenen Jahren liegen, 
in denen die machtvollen Bauten der idealistischen Geschichts¬
	        
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