VII. Die Erneuerung der Dialektik in der Gegenwart.1)
1. Einleitung.
Jede Geistes- und Wissenschaftslage ist in gewissem Sinne durch
die Eigenart derjenigen Methode gekennzeichnet und bestimmt,
die von ihr zur Bewältigung nicht nur der ähr gestellten Erkenntnis¬
aufgaben, sondern nicht minder der ihr gestellten allgemeinen Lebens¬
aufgaben geformt und angewendet wird. Das ist besonders dann der
Fall, wenn die wissenschaftliche Entwicklung zu einer Krisis hin¬
drängt, wenn es sich um die Überwindung des traditionellen und
um die Gewinnung eines irgendwie neuen Wissenschaftsbegriffes
handelt. Das Ringen um eine Methode begleitet die ganze Geschichte
der Wissenschaft und ist auf langen Strecken identisch mit dieser
Geschichte.
Aber diese Behauptung beruht auf einer Voraussetzung. Es
scheint mir nämlich nicht ausreichend zu sein, unter dem Begriff
der Methode ausschließlich einen bestimmten formalen und rationalen
Prozeß zur Heranschaffung und zur systematischen Verarbeitung
und Gestaltung von Erkenntnismaterialien zu verstehen. Ihr Begriff
umfaßt vielmehr außerdem und zugleich damit eine allgemeine
Geisteshaltung, eine Gesinnungsart, eine von übertheoretischen Wer¬
tungen und Deutungen nicht freie, also nicht bloß logische und
rationale Einstellung zu den Erscheinungen der Wirklichkeit. Es
wäre eine reizvolle und lohnende Untersuchung, die Einwirkungen
solcher typischer zeitgeschichtlicher Geistesformen auf die betreffen¬
den Wissenschaftsmethoden und die Art ihrer Spiegelung in ihnen
im einzelnen aufzudecken und darzustellen.
So gelangt auch der Kampf um einen neuen, sei es nur erweiter¬
ten, sei es überhaupt wurzelhaft veränderten Wissenschaftsbegriff
*) Vgl. als Ergänzung zu diesem Kapitel den eindringenden und trefflich
orientierenden Vortrag von Heinrich Levy ,,Die Hegel-Renaissance der Gegen¬
wart“ (Vortrag Nr. 30 der Kant-Gesellschaft); mit diesem Vortrag berühren
sich die Darlegungen des obigen Kapitels in mehrfacher Beziehung.