5. Die ewige Dialektik und Problematik der Metaphysik 39 J
theoretischen und unter Umständen auch praktischen Humanismus,
der von dem unverwelklichen Adel klassischer Schönheit und
klassischer Gesittung umstrahlt ist. Geben wir uns aber eine ehr¬
liche Antwort auf die Frage, ob jener klassische und klassizistisch¬
humanistische Geist noch ganz in uns lebendig und wirksam ist
und lebendig und wirksam sein kann. Seit der Blütezeit jenes
Geistes ist in uns und um uns, ist in Theorie und Praxis, im Erkennen
und im Leben zu Vieles und zu Schweres geschehen, als daß die
Aufrechterhaltung jener Stimmung oder die Rückkehr in ihre Milde
uns in vollem Umfange möglich wären. Ja, es darf billigerweise doch
noch als eine Frage betrachtet werden, ob diese Aufrechterhaltung
oder Rückkehr so ohne weiteres als ein einwandfrei gültiges Ideal
angesehen werden kann. Auch in der Antinomie zwischen dem Leben
in metaphysischer Absolutheit und dem Leben innerhalb der Un¬
rast und des Dranges empirischer Unausgesöhntheit steckt ein
hohes Ethos und eine gewaltige sittliche Tiefe. Und es ist gar nicht
ausgemacht, daß der Preis der Tugend nur einem harmonisch aus¬
geglichenen Dasein und nur der ruhigen Existenz, die bereits in der
Hut des Absoluten geborgen ist, gebührt.
Also noch einmal: Für uns herrscht auf dem Felde der Meta¬
physik zwar nichts weniger als eine Anarchie der Überzeugungen
und Wertungen, nichts weniger als ein Anrennen aller gegen alle,
nichts weniger als das Schauspiel wechselseitiger Zersetzung, nichts
weniger als eine endlose Bemühung, die in ihrem Gehalt immer
mehr verarmt und zu aussichtslosem Beginnen entartet. Wohl aber
herrscht für uns auf diesem Gebiet ein Kampf von höchster Problem¬
trächtigkeit und von höchster Unerschöpflichkeit an Dialektik und
Problematik. Dieser Kampf trägt alle Merkmale objektiver Größe.
Wollen wir ihn verstehen, so müssen wir ihn ohne Voreingenommen¬
heit in allseitiger Freiheit auffassen und würdigen. Eine solche
Einstellung darf und muß seine objektive Größe von uns fordern.