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VI. Die Dialektik der Metaphysik
Unter- und Außervernünftige zur Reinheit und Seligkeit des Logos
zu veredeln. Der in allem Endlichen waltende Logos verewige das
Endliche, indem er es gerade seiner Eigenart als Endliches entreißt,
indem er es auf den Grund des Unendlichen aufträgt und zum
Unendlichen emporträgt.
Vernichtet er dadurch aber nicht die Eigenart und die Geltung
des Endlichen und seine Geschichte? Vielmehr: Vernichtet nicht
weniger der Logos, als sein metaphysischer Anwalt Hegel die Auto¬
nomie des Endlichen? Trägt nicht das Endliche und seine Geschichte
ein eigenes und tiefes Ethos in sich? Die einzigartige Tragik, die
dem Leben eingebettet und von ihm nicht wegzudenken ist, wird
doch verkannt und verwischt, wenn der Selbstwert der Geschichte
zugunsten der Autonomie des Absoluten unterdrückt wird, wenn
die Autonomien beider Wirklichkeitsfaktoren in ihrer Wechsel¬
beziehung und in der Herbheit dieser Wechselbeziehung nicht rein
und streng aufrechterhalten werden. Hermann Cohen hat mit
Recht darauf aufmerksam gemacht, daß Hegel eine eigentliche
systematische Ethik nicht geschaffen habe. Gehindert daran haben
diesen großen Dialektiker, der sehr oft und gerade in prinzipiellem
Betracht so undialektisch dachte und vorging, die monistisch-huma¬
nistischen und pantheistischen Voraussetzungen und Tendenzen
seiner Philosophie. Für die Ethik ist und bleibt das Problem des
Konfliktes von konstitutiver Bedeutung. Und dieser Begriff des
Konfliktes muß in seinem vollen Sinne und mit der Bereitschaft
zu allen Folgerungen aufgenommen und vertreten werden. Es
heißt, der Idee der Sittlichkeit, des sittlichen Strebens und der
Wissenschaft der Ethik eine ihnen ganz wesentliche Bedingung
nehmen, wenn die Erscheinung und die Kategorie des Konfliktes
von Anfang an unter das Licht der Lösung und Aufhebung gerückt
werden. Der Begriff des Konfliktes ist für das sittliche Leben eine
„praktische“, für die Ethik eine „theoretische“ Apriorität. Begreif¬
bar wird aber diese Apriorität aus der Erkenntnis des Zusammen¬
pralls und der Reibung der beiden Autonomien des Endlichen der
Geschichte und des Unendlichen des Logos und aus der Erkenntnis
der Antinomie zwischen diesen Autonomien.
Es ist gewiß keine Frage, daß der Metaphysiker die Pflicht hat,
das Endliche auf das Unendliche zu beziehen und es vom Absoluten
her zu erfassen und zu deuten. Die volle Berücksichtigung dieser
Pflicht in der Form der Systematik gehört zu den wesentlichen
Obliegenheiten der metaphysischen Betrachtungsweise, und die