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VI. Die Dialektik der Metaphysik
Standpunktes der Zurückhaltung weisen z. B. auf die einschneidenden
Ergebnisse der Erkenntniskritik hin, die uns die Unmöglichkeit der
Metaphysik durch die Aufdeckung der unüberschreitbaren Grenzen
aller menschlichen Erkenntnis dargetan habe. Als die wichtigste
Leistung dieser Erkenntniskritik wird der ,,Satz der Phänomenalität"
hingestellt, d. h. die Lehre, daß unsere Erkenntniskraft nur zur Ge¬
winnung von wissenschaftlichen Einsichten innerhalb des Reiches
der Erscheinungen ausreicht und also in den Umkreis der Erfassung
der erfahrbaren Tatsachen gebannt bleibt. Die theoretische Ergrei¬
fung des Metaphysisch-Übererfahrbaren sei ihr aber verschlossen.
Zu dieser schwerwiegenden erkenntnistheoretischen Kritik gesellt
sich die psychologisch-subjektivistische Kritik, wie sie u. a. von
Friedrich Albert Lange und von Nietzsche mit Schwung vor¬
genommen worden ist. Nach dieser Kritik könnte der Metaphysik
lediglich der Wert einer ganz subjektivistischen Konstruktion bei¬
gemessen werden, die uns eine bloße Phantasie- und Scheinwelt
vorspielt und vorspiegelt. Zwar versucht sie diese Scheinwelt
— ungehörigerweise — mit den Kennzeichen der Wirklichkeit aus¬
zustatten und den Eindruck zu erzeugen, als handle es sich bei
den metaphysischen Gebilden um Realitäten, für die auch eine
objektivistische Begründung möglich sei oder tatsächlich zur
Verfügung stünde. Dem durchdringenden Auge des psychologisch
Gebildeten vermöge jedoch jene Welt ihren Charakter als ein zu
Unrecht verdinglichtes Erzeugnis der bloßen künstlerischen Ein¬
bildungskraft nicht zu verbergen. Damit ist die Entfernung der
Metaphysik aus dem Gebiet wahrer und strenger Wissenschaft
unvermeidlich; die Beschäftigung mit ihr ist dem Bezirk der künstleri¬
schen Tätigkeit zuzuweisen. Es wird ihr also nicht jegliche Daseins¬
berechtigung abgesprochen. Nur wird ihr Dasein beschränkt auf
den Geltungskreis der Kunst. Eine dritte Form der Ablehnung der
Metaphysik endlich besteht in dem historisch und soziologisch ge¬
haltenen Nachweis, daß die unaufhaltsame Verwissenschaftlichung
und Intellektualisierung des ganzen europäischen Geisteslebens zur
Zurückdrängung der Metaphysik führen mußte und geführt habe.
Nunmehr sei die Metaphysik eine überlebte Größe, sie gehöre in ein
ehrwürdige Altertümlichkeiten beherbergendes Museum. Was von
ihr noch vorhanden ist, entstamme lediglich atavistischen Pietäts¬
gefühlen, die von der wissenschaftlichen Aufklärung und ihrer Feind¬
schaft gegen alles Irrationale und Mystische im Laufe weiterer Ent¬
wicklung bestimmt zum Absterben gebracht werden würde.