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Einleitung
etwa nur die ausgesprochenen „Systematiker“, deren Systemsucht so
oft die überwiegende Schuld an der Vereinfachung und Entleerung,
an der Nivellierung und Verengung der Probleme beigemessen wird.
Denn was wir soeben in bezug auf die Notwendigkeit apriorischer
Synthesen andeuteten, das gilt mit nicht minderem Rechte auch
für die Notwendigkeit der Verwendung des Systemgedankens. Ist
doch im höchsten Sinne dieser Systemgedanke die eigentlich grund¬
legende apriorische Synthese, ist er doch die Idee aller dieser Syn¬
thesen überhaupt, die für jede philosophische Leistung schlechthin
unentbehrlich ist.
Wenn wir hier gegen Hegel, bei aller tiefen Anerkennung seiner
Größe als Dialektiker, dennoch den Vorwurf wagen, daß er die
urwüchsige Kraft der Dialektik nicht zu voller Entfaltung gelangen
ließ, sondern vorzeitig eingedämmt und harmonisiert habe, so erfolgt
jener Einwand also keineswegs im Hinblick auf seine vielleicht zu
leidenschaftliche Vorliebe für die Idee des Systems und auf die nicht
selten etwas harte Durchführung dieser Idee. Der Einwand besitzt
seinen Grund in der Erkenntnis, daß Hegel das Denkinstrument
der Dialektik im Dienste einer vor- und überdialektischen Grund¬
überzeugung verwendet hat, die auf die innere Gewalt der Dialektik
und auf ihre ungehinderte Entladung allzu mildernd und ausgleichend
eingewirkt hat. Es ist schwer, das Wesen dieser Grundüberzeugung
mit einfachen Worten zu kennzeichnen, weil dadurch wieder in die
dünne Luft der Begriffe eine seelische und metaphysische Grund¬
verhaltungsweise emporgehoben wird, die vor und jenseits aller Be-
grifflichkeit wirksam ist. Soll sie trotzdem in ihrem Charakter um¬
schrieben werden, so wäre wohl am besten ein Ausdruck aus der
Erlebniswelt der Religion und aus der Gedankenwelt der Theologie
zu gebrauchen und von der Grundstimmung der Erlösungshoffnung
und der Erlösungsgewißheit als maßgebende Regulative für die Hegel-
sche Begriffsbildung zu sprechen. Wir werden im Verlauf unserer
Darlegungen bei der Erörterung des Wesens der Hegelschen Dialektik
noch mehrfach Gelegenheit nehmen, auf diese religiöse Grundstim¬
mung des Philosophen unseren Blick zu werfen und der charakte¬
ristischen Abschwächung zu gedenken, die durch diese Stimmung
der Freiheit der Dialektik und der Dialektik der Freiheit zuteil wird.
Die Harmonie in der Dialektik ist zu stark, als daß gegen sie die Dia¬
lektik in der Vernunft aufkommen und ihre Autonomie durchsetzen
könnte. Das heißt: Hegel treibt die Vernunft nicht bis in die Höhe
eines letzten, heroischen und tragischen Wagnisses. Ihr Sieg bleibt