Full text: Grundlegung der Dialektik

1. Die Dialektik der philosophischen Lösungen 
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sichtbar; und wenn der innige und unaufhebbare Zusammenhang 
zwischen der Systematik und der Geschichte der Philosophie be¬ 
rechtigtermaßen hervorgehoben zu werden pflegt, so darf jene Dialek¬ 
tik im Wesen der Geschichte der Philosophie nicht außer acht ge¬ 
lassen werden. Zwischen der eigentlichen Systematik der Philo¬ 
sophie als einem aus metaphysischen Voraussetzungen konstruktiv 
entwickelten Zusammenhang von Begriffen und der empirischen, in 
den positiven Lehren der Philosophen urkundlich zum Ausdruck 
gelangenden Geschichte besteht eine merkwürdige Beziehung. Gerade 
an der Grenze der empirischen Philosophiegeschichte beginnt die 
metaphysische Zone der Philosophiegeschichte und damit die Syste¬ 
matik der Philosophie. Es ist sachlich berechtigt, wenn man 
von der Geschichte der Philosophie spricht und das Studium dieser 
Geschichte für den Zweck des Eindringens in die philosophische 
Systematik empfiehlt, von der ungeschichtlichen, von der absoluten 
Geschichte der Philosophie zu sprechen. Und dieser absolute meta¬ 
physische Vernunftgehalt in jeder philosophischen Leistung erlaubt 
und berechtigt uns, überhaupt in ihr die „Lösung“ einer Frage zu 
erblicken. 
Weil also jede philosophische Lösung auf der außer- bzw. un¬ 
geschichtlichen Gesetzlichkeit der autonomen Vernunft beruht, so 
leuchtet sie im Lichte der Absolutheit und der metaphysischen End¬ 
gültigkeit. Dennoch — und damit berühren wir ihre andere Seite — 
haften ihr trotz aller ihrer zweifellosen Vernunftabsolutheit die 
Dynamik der Unruhe und der Unfertigkeit und das echt geschicht¬ 
liche Schicksal einer immer unzureichenden, einer niemals restlosen 
Erledigung ihres Problems mit nicht zu übersehender Schärfe und 
Eindringlichkeit an. Gewiß wird zu einem Teil ihre Struktur be¬ 
stimmt und beherrscht durch die ewigen Regelungen der Metaphysik, 
die sich in unzeitlichen Typen und Sinnesgestalten darstellen, und 
deren Aufweisung und Kennzeichnung zu den Hauptaufgaben einer 
Charakterologie und Phänomenologie der Metaphysik gehören. Zum 
anderen Teil sind es doch aber unverkennbar historische und histo¬ 
risch bedingte Mittel, mit deren Hilfe die Philosophie die Behandlung 
und Lösung ihrer Fragen und Aufgaben unternimmt. Bei einer ge¬ 
naueren Betrachtung gerade dieser Art von Mitteln zeigt sich 
schnell, daß sie ihrer wesentlichen Natur nach nicht sowohl dem 
überpersönlichen Zusammenhang der philosophischen Systematik als 
vielmehr der Besonderheit der philosophischen Persönlichkeit ent¬ 
stammen. Daß es gerade diese Gesichtspunkte und Methoden sind
	        
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