3. Das moralische Motiv
137
Grundlage der Freiheit. Diese Freiheit ist, wenn die ganze
-N Tiefe ihrer Kraft und ihres Gehaltes wirklich und wirksam wird,
viel mehr als ein bloß theoretischer Rund- und Weitblick über die
Fülle des Lebens. Sie ist eine nicht mehr weiter definierbare
Geisteshaltung, vielleicht die allereigentümlichste, wie ein
Wunder erscheinende Fähigkeit inmitten der Fesseln, in die wir
eingespannt sind. Keine Psychologie, keine Soziologie, überhaupt
keine empirische Betrachtung vermag dieses Wunder der Freiheitstat
zu erklären. Ich stehe keinen Augenblick an, in ihr eine geradezu
mythische Begabung zu erblicken und zu würdigen, nicht bloß
vergleichbar, sondern überlegen jenen ungeheueren geistigen oder
seelischen oder körperlichen Fähigkeiten, die der alte Mythos seinen
Helden und Lieblingen beilegte.
Diese Freiheitstat ist, selbst wenn sie „nur als Idee“ oder gerade
weil sie nur als Idee möglich und sinnvoll ist, so recht der Gegen¬
stand und auch das Ziel der Metaphysik, deren Untersuchungs¬
bereiche und Sinnmittelpunkte, wie sich immer wieder zeigt, die
dialektischen Züge des Geistes und schließlich seine Dialektik selber
sind. Daß und inwiefern sich in diesem Umstand eine wesentliche
Richtung der Autonomie der Metaphysik ausprägt, werden
wir in einem späteren Kapitel noch sehen, wo wir den Eigenwert
der Metaphysik überhaupt auf das engste mit der Idee der Dialektik
verbinden und diese Idee schlechthin als dasjenige Prinzip auszu¬
zeichnen und zu beglaubigen suchen, durch das die Metaphysik ihre
Begründung und Sicherung ebensosehr wie die ihr eigentümliche
Methode erhält. Ich greife hier Andeutungen auf, die in den voran¬
gehenden Darlegungen bereits häufig gemacht worden sind, und in
denen die Autonomie der Metaphysik aus der Idee der Dialektik
heraus verstanden wurde. Zugleich nehme ich absichtlich spätere
und ausführlichere Untersuchungen vorweg, die dem gleichen Punkte
gelten, weil mir seine Behandlung und Klarstellung von der größten
Tragweite für die Aufhellung und Rechtfertigung des ganzen Planes
unserer Arbeit ist. Durch die Überlegungen, die wir im Augenblick
anstellen, klärt sich unsere Absicht in weitgreifendem Umfange
voraussichtlich dadurch, daß wir die einzelnen Wurzeln aufzudecken
unternehmen, aus denen als den tragenden Motiven das Gewebe der
Dialektik hervorwächst.
Besonders dürfte durch die gegenwärtig vorgenommenen Er¬
örterungen deutlich geworden sein, daß das moralische Motiv in
entscheidendem Ausmaße die Metaphysik aus dem Umkreis einer