Full text: Grundlegung der Dialektik

3. Das moralische Motiv 
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Das ist der Punkt, auf den wir hinstrebten: Der eigenartige 
Begriff der Erscheinung, wie ihn die Metaphysik in 
strengem und nie zu verwischendem Gegensatz zu den 
positiven Wissenschaften gebildet hat. Gebildet in dem Akt 
deutender Wertung und Herabsetzung der Erscheinungen als des 
Relativen gegenüber dem Absoluten, als des Vergänglichen gegen¬ 
über dem Ewigen, als des Zeitlichen und Räumlichen gegenüber dem 
Unzeitlichen und Unräumlichen des absoluten Wertes. Indem die 
Metaphysik irgendeine Gegebenheit „nur als eine Erscheinung“ auf¬ 
faßt und wertet, hat sie die Positivität derselben und die Formen 
der Kausalität und des Raumes und der Zeit, in denen diese Ge¬ 
gebenheit sich darstellt, aufgelockert, durchbrochen, sozusagen außer 
Spiel gesetzt, und sie hat, was zweifellos die wichtigste seelische Folge 
dieser Tat ist, einen ungeheueren Druck von unserer Brust genommen. 
Hier äußert sich das moralische Motiv und die mora¬ 
lische Funktion der Metaphysik in ihrer ganzen Stärke. 
Hier wird der wesenhafte Antrieb offenkundig und sinnfällig, 
der den Menschen zu der Bildung metaphysischer Spekulationen 
wieder und wieder bewegt. Es sind der Wille und die Sehnsucht 
nach einer Befreiung von jenem Drucke, den die Relativitäten des 
Lebens bei aller ihrer Relativität so herbe und mitleidslos auf uns 
ausüben. Eine der merkwürdigsten Paradoxien der Wirklichkeit 
äußert sich darin, daß die Erscheinungen des Lebens und die 
Bindungen und Regeln, denen sie selber unterstehen, und die von 
ihnen ausgehen, so relativ und vorläufig, so willkürlich und bedingt 
diese durch ihre Herkunft aus dem empirischen Dasein auch sind, 
doch mit der Gewalt einer scheinbar unzerreißlichen Fesselung zu 
wirken drohen und den Menschen zu dem unfreiwilligen Verzicht 
auf Selbstbestimmung und Autonomie drängen. Die Welt der 
Relativitäten neigt dazu, wie eine absolute Macht aufzutreten. Sie, 
in der alles bedingt, gesetzlich geordnet, in Regeln verflochten ist, 
muß den kostbarsten Wert des Menschen, seine innere Selbständig¬ 
keit und Freiheit, gefährden und damit den eigentlichen Sinn und 
Bedeutungsgehalt unseres Lebens verletzen. Das Relative strebt 
dahin, sich als absolut und als unbedingt zu setzen. Zwar vermag 
es nur eine fiktive Absolutheit und eine Pseudounbedingtheit zu 
erreichen. Trotzdem ist damit die Gefahr gegeben, daß dem wahr¬ 
haft Absoluten sein Einfluß und sein Platz strittig gemacht werden. 
Gegen die unrechtmäßige Besitzergreifung eines Rechtes, das 
nur der dämonischen Absolutheit der Freiheitsidee innewohnt, und
	        
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