3. Das moralische Motiv 127
ihre Wärme alles Seiende erst ins Leben ruft, so herrscht auch das
Gute in überlegener Form über das ganze Reich des Seienden.
Einfacher und eindeutiger gelangt der Gedanke des Primates des
Guten und der Unterordnung des ,,Theoretischen“ unter diesen
Primat bei den deutschen Metaphysikern zum Ausdruck. Die von
ihnen vertretene Sonderart des Idealismus läßt keinen Zweifel darüber
aufkommen, daß das Sittliche die schlechthin höchste, die schlecht¬
hin entscheidende und autonome Kraft zur Rechtfertigung und
Bewährung aller übrigen Geltungsformen besitzt. Bei Platon wird
das Gute kraft seiner Beziehung zum Wahren mit der Einheit des
geistigen Kosmos unabtrennbar verbunden, so innig verbunden, daß
es geradezu den Wertgehalt des geistigen Kosmos ausmacht. Da¬
durch wird vom Logos jede Zerfällung ferngehalten, seine Einheit
durch sein sittliches Zentrum gesichert. In der deutschen Speku¬
lation hingegen wird dem Guten eine geradezu mystisch erscheinende
Transzendenz zugesprochen. Auf dem Wege der von Platon ein¬
geschlagenen Vergöttlichung des Guten erfolgt ein so bedeutender
Schritt, daß nunmehr seine noch weitere Verabsolutierung ausge¬
schlossen ist.
Zwar erfährt auf diese Weise die Mystik und Dämonie des Welt¬
hintergrundes eine moralistische Abschwächung, wie das z. B. bei
Fichte deutlich wird. Andererseits aber erschließt sich in dieser
Verabsolutierung des moralischen Motivs und Prinzips eine neue
Dialektik, auf die wir bei dem Schluß des voraufgehenden Kapitels
schon hinwiesen, und die sich in der Struktur der Metaphysik als
überaus wirksam und für diese Struktur als mitkonstitutiv zeigt.
b. Die Dialektik zwischen dem Wahren und dem Guten.
Worin besteht diese Dialektik? In der eigentümlichen Spannung
zwischen dem moralischen und dem intellektuellen Motiv und Prinzip,
in jener merkwürdigen Antinomie, die in unserem Leben in jedem
Augenblicke aufbricht, zu seinen Wesenszügen gehört und in der
Metaphysik begreiflicher- und notwendigerweise ihr theoretisches
Spiegelbild findet. Ist das Wissen schon an und für sich ein Gutes?
Oder führt es sicher zu ihm? Ruht die Tugend auf dem Grunde der
Erkenntnis, so daß der wahrhaft Erkennende auch der wahrhaft
Tugendhafte ist? Oder ist die Einsicht nicht bloß eine Voraus¬
setzung, sondern bereits ein Teil, eine Funktion der Tugend? Wir
wissen wie Sokrates die hier vorliegenden Aporien gelöst hat, gelöst