2. Das intellektuelle Motiv
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mit angedeutet, was gemeint ist. Die Metaphysik hebt im Akte der
Selbstbesinnung aus der positiven Arbeit der konkreten Wissen¬
schaft diejenigen Formelemente und Funktionen der Vernunft
heraus, auf Grund deren die Wissenschaft ihre konkrete Arbeit
vollzieht. Hier, in dieser konkreten Arbeit, haben die dialektischen
Vernunftformen ihre Verwirklichung, die darin besteht, daß die
ideellen Bezüge der Vernunft in der positiven Forschung zu gegen¬
ständlicher Anwendung gelangen und sich als ihre grundlegenden
Bedingungen ausweisen.
Sobald dieser Sachverhalt vergegenwärtigender Besinnung der
Vernunftprinzipien durch die Erkenntnistheorie klar wird, offenbart
sich die Hinfälligkeit des bekannten Einwandes Hegels gegen diese
Disziplin der Metaphysik. Hegel glaubte die Unmöglichkeit der
Erkenntnistheorie schon in einem Bilde dadurch beleuchten zu
können, daß er ihre Unternehmung mit der Absicht jenes Scho¬
lastikers vergleicht, der das Schwimmen erlernen wollte, ohne ins
Wasser zu gehen, und der, wenn er vor der Erwerbung der Schwimm¬
kunst den Sprung ins Wasser wagt, elend ertrinken müßte. Nehmen
wir dieses Bild auf, so ist die Erkenntnistheorie der Scholastiker und
die positive Wissenschaft das Wasser. Warum soll nun der Scho¬
lastiker das Schwimmen nicht lernen, während er im Wasser ist,
und gerade weil er darin ist? Im Element des Wassers lernt er die
Theorie. Aus der Wissenschaft holt der Erkenntnistheoretiker die
ihr immanenten Prinzipien hervor, und zwar dadurch, daß er die
Wissenschaft nach ihren Rechtsgründen, und das sind die Prinzipien
der Vernunft, befragt. Im System der Wissenschaft entfaltet sich
das System der Vernunftprinzipien in gegenständlicher Form; in
ihm ist die Vernunft gegenständlich gegenwärtig. In der Metaphysik
wird dieses System der Vernunftprinzipien begriffen, es wird hier
in seiner gegenständlichen Gegenwärtigkeit von der Vernunft erfaßt,
verstanden und in theoretischer Form dargestellt.
Die Form dieser Darstellung ist der metaphysische Rationalis¬
mus. Wenn er das Wesen der Wirklichkeit aus der Vernunft und
ihren Prinzipien ableitet und die Wirklichkeit als ein logisch auf¬
gebautes Vernunftsystem darstellt, so können wir fragen, woher er
diese Vernunftprinzipien hat, ferner auf welche Weise er auf ihre
Spur kommen könne, und welches Vorbild er für seine rationalistische
Weltinterpretation besitzt. Die Antwort auf diese Frage ist nicht
schwer. Das ihn leitende Vorbild sind die rationalen Wissenschaften,
aus denen er das Gerüst der Vernunftprinzipien herauspräpariert.