Full text: Grundlegung der Dialektik

2. Das intellektuelle Motiv 
113 
Zeit und nach Form wie Gegenstand in einem höheren Ausmaße 
zeitbedingt als die Metaphysik. Indem sich diese jedoch der posi¬ 
tiven Forschung bemächtigt, befreit sie dieselbe durch die Betrach¬ 
tung sub specie aeterni zwar von den Engen zeitgeschichtlicher Ab¬ 
hängigkeit, nimmt ihr jedoch die erwähnte Eigenschaft, Spiegelbild 
der Zeit in ihrer Weise zu sein, und erhebt sie in eine ungeschicht¬ 
liche Ruhe, in der von dem Auf und Nieder der besonderen Lebens¬ 
strömungen, von der Konkretheit empirischer Ansätze und be¬ 
sonderer Problemstellungen kaum noch eine Spur übrigbleibt. Die 
großen enzyklopädischen Synthesen der Metaphysik sind auf eine 
geringe Anzahl von Typen zurückführbar, und diese Typen ähneln 
sich außerdem in auffallender Weise. Das muß so sein. Denn durch 
sie ist alles Konkrete und Empirische in ein Allgemeines und Prin¬ 
zipielles umgewandelt. Wird doch dieser Umwandelungsprozeß aus¬ 
drücklich in der Absicht unternommen, die empirisch-geschicht¬ 
lichen Bestände ins Metaphysische zu erheben, aus ihnen ihren 
absoluten Sinn herauszuholen und so ihre empirischen und konkreten 
Züge zu tilgen. Wir wollen an dieser Steile auf das Recht und den 
Wert eines solchen metaphysischen und abstrahierenden Verfahrens 
nicht eingehen, sondern nur im allgemeinen auf die eigentümliche 
Umbildung aufmerksam machen, von der die positive Forschung 
durch jenes Verfahren betroffen wird, und die geeignet ist, ein nicht 
völlig unberechtigtes Mißfallen seitens des positiven Forschers her¬ 
vorzurufen. — 
Hätte demnach die Metaphysik gar keine Befugnis gegenüber 
der positiven Wissenschaft ? Ein entsprechendes Zugeständnis würde 
sich in dem Munde eines Metaphysikers, und ein solcher will der 
Verfasser dieser Zeilen sein, mehr als seltsam ausnehmen. Hat sich 
nicht seit jeher der metaphysische Rationalismus und Idealismus 
um die konkreten Wissenschaften angelegentlich gekümmert und 
bemüht, um unter ihrer Zuhilfenahme ein Weltbild aufzurichten, 
dessen Gediegenheit durch jene Berücksichtigung gewährleistet war? 
Es braucht hier nur an das berühmte Beispiel erinnert zu werden, 
das die Philosophie des Descartes darstellt. Beruht diese Philo¬ 
sophie nicht in allen wesentlichen Punkten nach Form wie Inhalt 
auf der denkbar intensivsten Heranziehung und Ausnutzung der 
Mechanik Galileis? Und gehört die Berücksichtigung der positiven 
Wissenschaften nicht schlechterdings zu den Grundpflichten der 
Metaphysik? Woher bekäme diese das Material für ihren Bau, 
Liebert, Dialektik. 8
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.