Full text: Grundlegung der Dialektik

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II. Von der Pflicht zur Metaphysik 
gelangte, etwa in den Zeiten, in denen eine überreiche Einzelentwick¬ 
lung der positiven Wissenschaften zu einer metaphysischen Zu¬ 
sammenfassung aufforderte. Zwar ist auch eine solche Zusammen¬ 
fassung unter die Pflichten und Leistungen des metaphysischen 
Rationalismus zu rechnen, und sie ist mit größerem oder geringerem 
Gelingen zu verschiedenen Zeiten in der Form philosophischer 
Enzyklopädien immer wieder versucht worden. Derartigen Enzyklo¬ 
pädien wohnt ein unverkennbares Maß an Berechtigung inne, und 
sie haben, wenn der Bestand der wissenschaftlichen Ausbildung den 
sammelnden Überblick erschwerte, Anklang und Anerkennung ge¬ 
funden. 
Aber es scheint mir doch nicht ganz angängig zu sein, aus dieser 
relativen Notwendigkeit enzyklopädischer Synthesen einen Schluß 
auf ihr unbedingtes Recht als philosophische Zusammenfassungen 
der Ergebnisse der positiven Wissenschaften zu ziehen. Warum 
sollte der Reichtum der wissenschaftlichen Ergebnisse nicht ohne 
zusammenziehende Bindungen bleiben können? Schon darum, weil 
alle solche Zusammenziehungen das Gesicht dieser Fülle ändern, es 
blasser machen und in einer Weise intellektualisieren, daß dem kon¬ 
kreten Eindruck und der positiven Nutzbarkeit der Ergebnisfülle 
oft ein deutlicher und beträchtlicher Schaden zugefügt wird. Die 
Liebe für metaphysische Zusammenfassungen birgt in sich nicht 
geringe Gefahren. Setzt sie sich in zu energischer Form durch, so 
verdampft die Mannigfaltigkeit des erkämpften Wissens; auch von 
dem Mühsal und dem Heroismus, die für die Gewinnung jener Fülle 
aufgeboten wurden, bleibt kaum eine Spur. Den Einzelforscher 
überschleicht bei dem Anblick der oft zu weitgehenden metaphysi¬ 
schen Synthesen nicht ohne Recht das Gefühl, als sei ein guter Teil 
seines Kampfes und seiner Arbeit unter den Tisch gefallen. Und so 
wehrt er sich nicht selten gegen das Recht und die Durchführung 
solcher Synthesen, die die Früchte seines Ringens wie mit einer ihm 
leer erscheinenden Allgemeinheit und mit einem die Einzelheiten 
unkenntlich machenden Nebel umschleiern, die sich, statt der posi¬ 
tiven Forschung zu dienen, gern an ihre Stelle drängen, als wären 
deren Leistungen lediglich um jener Synthesen willen da und be¬ 
rechtigt. 
Und das Nahen noch einer anderen Gefahr kann die positive 
Forschung von der Seite einer über ihr Ziel hinausschießenden 
enzyklopädischen Synthese befürchten. Die konkrete Wissenschaft 
ist, in ihren Erfolgen wie in ihren Fehlschlägen, ein Spiegel ihrer
	        
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