2. Das intellektuelle Motiv
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Zumal in seiner metaphysischen Ausbreitung ist der Rationalis¬
mus nicht etwa bloß der Metaphysik im allgemeinen als Wesens¬
bestandteil eingebaut, sondern er ist ein dauernd wirksamer Faktor
für die ganze abendländische Kultur. Auch als ein bestimmter meta¬
physischer Typus ist der metaphysische Rationalismus mehr als
eine bloße Theorie. Wir müssen überhaupt einsehen und uns dauernd
gegenwärtig halten, daß die spekulativen Sinngebilde, ganz gleich
um welche Spielart es sich handeln mag, in ihrer Existenz und
Geltung nicht beschränkt bleiben auf die Sphäre der Begriffswelt.
Sie haben weit darüber hinaus die Wirklichkeit historischer Organi¬
sationen und betätigen sich immer wieder als historische und sitt¬
lich fruchtbare Kräfte.
Richten wir unser Augenmerk im besonderen auf den meta¬
physischen Rationalismus, so gewahren wir leicht die Doppelfunktion
seiner Wirksamkeit. Sein Geist bekundet sich einmal in der Weise,
daß er kraft der in ihm waltenden Logizität allen übrigen meta¬
physischen Typen die ihnen schlechthin unentbehrliche Beziehung
auf das Wissen und auf dessen Objektivität verleiht, und daß er
ihnen dadurch selber eine objektive und logische Geltung ver¬
schafft. Ohne diese rationalisierende und objektivierende Funktion,
diese gewaltige Leistung des metaphysischen Rationalismus, ist von
jenen Typen die Gefahr der Subjektivität und der Versubjekti-
vierung nicht fernzuhalten. Sie würden anderenfalls in der nur
persönlich gültigen Zone von Bekenntnissen verbleiben, in jener Zone,
die den Geltungsbereich der Erlebnissysteme der sogenannten Lebens¬
philosophie darstellt. So tief sie als solche auch mit der Persönlich¬
keit ihres Urhebers verwachsen, mit so unwiderstehlicher Dringlich¬
keit sie als solche auch aus seiner Seele hervorbrechen und in ver¬
wandten Seelen Zustimmung und Aufnahme finden mögen, so
mangelt ihnen ohne rationalistischen Einschlag dennoch aus¬
nahmslos die Möglichkeit und der Wert logischer Nachprüfung und
Allgemeingültigkeit. Vor allem jedoch entbehren sie ohne jenen
rationalistischen Zug der Möglichkeit und des Wertes der Mitteil¬
barkeit und der objektiven Existenz.
Ferner gehört der Rationalismus, was in seiner Wichtigkeit nie¬
mals außer acht zu lassen ist, zu den energischsten und erfolgreichsten
gleicht einem Heilmittel, das nur in kleinen Dosen und nur kurze Zeit ge¬
nommen werden darf. Sonst ist es tödlich.“ Die expressionistische Bewegung
vermochte nicht in die Wirklichkeit einzudringen und ihre Totalität umzu¬
wandeln; sie mußte „als Zeitstil sterben“ (S. 189).