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II. Von der Pflicht zur Metaphysik
In der Hauptsache sind es vier solcher Sinnschichten, die in ihrer
schier ununterscheidbaren synthetischen Verflechtung den viel¬
gegliederten Bau der Metaphysik bedingen. Eine Sinnschicht der
Metaphysik besteht in der Welterkenntnis, die zweite in der
Weltbewertung und Weltwürdigung, die dritte in derWelt-
deutung und die vierte schließlich in der Welterlösung, die alle
vier im Verein die wechselseitig aufeinander bezogenen Glieder eines
umfassenden Systems der Metaphysik ausmachen. Diese vier all¬
gemeinen Sinnschichten sind der Ausdruck der intellektuellen, auf
Erkenntnis angelegten, ferner der Ausdruck der moralischen, in
einer sittlichen Haltung sich aussprechenden und zu sittlicher Über¬
zeugung führenden, dann der Niederschlag der ästhetischen, in
der künstlerischen Formgebung sich bekundenden und endlich
die Objektivation der religiösen, auf Erlösung gerichteten spontanen
Funktion des Logos. Ein System der Metaphysik, das dem An¬
spruch auf Universalität wirklich genügt und den Charakter der
uneingeschränkten Entfaltung des Logos innerhalb der Sphäre des
Gedankens trägt, muß jene vier Sinngebilde umfassen und den
vierfältigen und vierfach verzweigten Gedankenausdruck der Dia¬
lektik des Logos darstellen. In der bis jetzt höchsten und reichsten
Form wird von sämtlichen Systemen der Metaphysik die eben
erwähnte Anforderung nur durch die von Plato und Aristoteles
vertretene griechische Form der Metaphysik befriedigt; ihr gegen¬
über weisen fast alle anderen Systeme eine gewisse Einseitigkeit
auf. In der Mehrzahl der Fälle umschließt ein solches, etwas ein¬
geschränktes System die zwei zuerst genannten Sinngebilde, während
die, für die Gesamtbedeutung der Metaphysik gleichfalls unentbehr¬
liche religiöse Funktion der Erlösung, sei es absichtlich, sei es un¬
willkürlich etwas zurücktritt oder überhaupt unberücksichtigt
bleibt.
Diese Vielheit und Vierheit der in der Metaphysik wirksamen
Funktionen des Logos bedingt es, daß die Gestalt der Metaphysik
allen anderen Kulturgestalten in aufgeschlossener Form zugeneigt
ist, mit bereitwilliger Notwendigkeit von ihnen formale und inhalt¬
liche Einflüsse empfängt und ihrerseits ununterbrochene Anregungen
nach allen Seiten zurückstrahlt. Aus dieser zentralen Stellung fließt
ihr der nicht unbeträchtliche Nachteil einer gewissen Unabgeschlos¬
senheit, ja Formlosigkeit zu. Da sie nach allen Beziehungen hin
offen ist, mit der Wissenschaft ebensogut wie mit dem Ethos, mit
der Kunst ebensosehr wie mit der Religion fruchtbare Wechsel-